Beim Tanken spricht mich ein schlampig gekleideter, unrasierter und unfrisierter Mann etwas unbeholfen und leicht verschämt an: "Hätten S' a Zwaral fia mi?" Weil ich nicht gleich reagiere, fügt er hinzu: "Zwa Euro, gnä Hea! Gehn S', sans so guad!"
Ich greife in die rechte Hosentasche, wo es immer etwas Kleingeld gibt. Es sind nicht zwei Euro, nur 1 Euro und 85 Cent. Der Mann bedankt sich trotzdem höflich, macht ein Buckerl - und ergreift die Flucht. Denn der Kassier der Tankstelle hat den Vorgang beobachtet, er stürmt wie ein wildes Tier auf uns zu und schreit: "Betteln ist verboten! Verschwinden Sie!"
Ein ähnliches Erlebnis, neulich in der U-Bahn. Ein Mann steigt im Hietzing ein, hält mit lauter Stimme eine Ansprache über die Widrigkeiten seines Daseins - die es wohl gibt - bis er schließlich zum Kern der Sache kommt: "Jetzt bin i obdachlos. A Nocht bei da VinziRast kost' zwa Euro. Konn ma wea zwa Euro spendian? Dass i ned unta da Brucken schloff'n muass."
Eine Frau greift in die Geldbörse und gibt dem Mann eine Zwei-Euro-Münze. Er bedankt sich und steigt gleich bei der nächsten Station aus.
Zwei Euro scheint heutzutage die gängige Zahlungseinheit für milde Gaben zu sein. Im Wiener Jargon ist das "a Zwaral" - ein Zweierl. So steht es auch in meinem kürzlich erschienenen "Großen Wörtbuch des Wienerischen". Dort sind auch zwei Belegstellen vermerkt.
Das erste stammt aus dem Lied "Ollas fia eich" von Voodoo Jürgens, zur Zeit zweifellos der beste Dialektliedermacher, den wir haben, und zwar einer, der hundertprozentig authentisches Wienerisch singt.
Voodoo Jürgens mimt in dem Lied, das auf Youtube abrufbar ist, einen Sandler, die Strophen sind alle nach dem gleichen Schema aufgebaut.
Hier ein Beispiel:
I bin ka Drangler, wonn i 's sog /
owa a Zwaravasn sauf i jedn Tog.
Schon wieder die Zahl zwei, dieses Mal steht sie für eine Doppelliterflasche.
Aber jetzt die relevante Strophe:
I bin ka Sandler, wos schaust so bled/
gib her a Zwaral, wos glaubst, fia wos da Huad do steht.
Die letzte Strophe deutet darauf hin, dass nichts gegeben wurde.
Ollas fia eich, nix fia mi /
nehmts des ganzen Glumpat in die Gruam mit.
Dass der Ausdruck Zwaral eine sprachliche Renaissance erlebt, haben wir der Euro-Einführung zu verdanken. Eine Zwei-Schilling-Münze gab es nur kurze Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.
Aber eine Zwei-Gulden-Münze war längere Zeit von großer Bedeutung.
In dem Wienerlied "A Fiaker bin i" heißt es:
Will einer um a Zwaral nach Hietzing vom Graben /
den los i von ein' Dienstmann mit der Butten h'naustrogn.
P.S.: Ich habe recherchiert: Eine Nacht in der "VinziRast-Notschlafstelle für Obdachlose" kostet wirklich zwei Euro. Aber im Grunde genommen ist das egal. Offensichtlich steigt beim Schnorren die Erfolgsrate, wenn man einen bestimmten Betrag nennt, und zwar eine runde Summe, die in Form einer Münze abgegolten werden kann.
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