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AutorenbildRobert Sedlaczek

Im Wort "Liebe" geht der Eros allmählich verloren


Was bedeutet das Wort Liebe? Bei diesem Ausdruck ist vieles im Fluss, wobei das Angloamerikanische und auch der dialektale Gebrauch eine Rolle spielen. Hinzu kommt, dass die Jungen das Wort anders verwenden als die Alten. Die Verwirrung entsteht auch dadurch, dass wir unterschiedliche Empfindungen mit ein und demselben Ausdruck benennen.

 

Klarer definiert hatten es die alten Griechen, es gab mehrere Wörter, wodurch Abgrenzungen möglich waren, Missverständnisse vermieden wurden.

 

o Éros bezeichnete die sinnlich-erotische Liebe, das Begehren des geliebten Subjekts, den Wunsch nach Geliebt-Werden, die Leidenschaft. Das Wort Erotik leitet sich davon ab. Erotik hat auch eine sexuelle Komponente, wobei zwischen Erotik und Sex unterschieden wird. Sex plus Liebe ist Erotik, oder so ähnlich.

 

o Philía bezeichnete die Freundesliebe, wie auch die Bruderliebe. Philosoph, Philanthrop und Philologe leiten sich davon ab. Das Wortbildungselement philo- bedeutet Freund, Verehrer (von etwas), Liebhaber, Anhänger; Liebe, Verehrung, Neigung (zu etwas).

 

o Agápe bezeichnete die selbstlose und fördernde Liebe, auch die Nächstenliebe. Im Christentum heißt es: Liebe deinen Nächsten. Hier ist übrigens gendern nicht vorgesehen. "Liebe deine Nächste" kann man nicht sagen. Das klänge nach einem Lied, das Crosby, Stills und Nash in Woodstock sangen: Love the one your with.

 

Im Mittelalter gab es im Deutschen das Wort Minne. Gemeint war ursprünglich eine nicht-sexuelle Zuneigung, etwa im Sinne von Geschwisterliebe oder Gottesliebe, später auch eine sexuelle Liebe, sogar eine stark triebhafte. In der Ritterkultur war damit das Werben um die Gunst einer Dame gemeint, die Unterwerfung des Mannes unter ihren Willen. Aus nicht völlig geklärten Gründen ist das Wort Minne ausgestorben, es begann der Siegeszug des Ausdrucks Liebe. Was blieb, sind die Texte des Minnegesanges.

 

Heutzutage werden wir durch oberflächlich synchronisierte Kinofilme, die meist aus dem angloamerikanischen Raum stammen, beeinflusst. Der dortige Gebrauch schwappt zu uns herüber. 

 

In den USA ist der Bedeutungsumfang des Hauptwortes "Liebe" und des Zeitwortes "lieben" wesentlich größer als bei uns. Wir hören es immer wieder in Filmen: Väter oder Mütter sagen zu ihren Töchtern oder Söhnen "Ich liebe dich!" oder "Ich hab dich lieb!" Umgekehrt auch. Die Jüngeren unter uns haben das längst übernommen, die Älteren befällt dabei ein ungutes Gefühl. Sie setzen Liebe primär mit Eros gleich.

 

Aber das ist noch nicht alles. Im angloamerikanischen Sprachraum liebt man nicht nur Menschen, sondern auch Dinge. Das hat zur Folge, dass die jungen Leute bei uns jetzt auch einen Pullover lieben können oder die bestimmte Zubereitungsart einer Speise. Als Heinz Fischer einmal im Verlauf eines Interviews mit dieser für ihn merkwürdig klingenden Verwendung konfrontiert wurde, reagierte er brüsk, geradezu trotzig: "Ich liebe nur meine Frau!" Diese wird sich gefreut haben. Wer konkurriert schon gern mit einem Hamburger, der mit dem Slogan "I'm loving it!" daherkommt?

 

Ein zusätzliches Problem stammt aus dem Bereich des Dialekts. H. C. Artmann, und nicht nur er, auch viele andere, haben darauf hingewiesen, dass es das Wort "lieben" im Wienerischen und im Bairischen insgesamt nicht gibt. Wie sollte man es dialektal aussprechen? I' liab di'? Geht nicht. Wenn es vereinzelt in Wiener Liedern vorkommt, dann handelt es sich um ein Zitat aus der Standardsprache.

 

Die Liedermacher des Austropop, Ambros, Danzer und Fendrich, sangen und spielten die zahlreichen Ersatzwörter hinauf und hinunter; auf diese Weise sind Nuancierungen möglich, die in der Standardsprache kaum zu finden sind.

 

o I' mag di'! 

 

o I' steh auf di'! 

 

o I' foah o, auf di'! 

 

... und viele mehr.

 

Damit sind aber den Missverständnissen Tür und Tor geöffnet. Nehmen wir an, eine Frau sagt zu einem Mann: "Ich mag dich!" Ist das jetzt der Ersatzausdruck für "Ich liebe dich!", weil sie sprachlich in der Mundart verankert ist und das Wort Liebe nicht zu ihrem Vokabular gehört? Oder will sie damit sagen, dass ihr Gefühl keinesfalls Liebe ist, höchstens eine Vorstufe zu ihr, ein "Mögen" eben, aus dem eines Tages ein "Lieben" werden könnte? 

 

Andererseits könnte ein singuläres, aber ernst gemeintes "Ich mag dich!" mehr bedeuten als ein hunderte Male als Abschiedsfloskel dahingesagtes "Ich liebe dich!".

 

Vielleicht wird jetzt der Einwand kommen: Ein sensibler Mann/eine sensible Frau wird schon spüren, was gemeint ist. So wird es wohl sein. Es geht immer auch um den Kontext und um die nonverbale Kommunikation.

 

Im Schriftlichen scheint alles ein wenig anders zu verlaufen. Denken wir an die Anrede in einem Brief, früher wurden ja Briefe geschrieben und zur Post getragen, nicht Postings verfasst und elektronisch auf die Reise geschickt, früher hieß es: "Lieber Franz!", "Liebe Waltraud!" Es war gal, ob die adressierte Person ein Freund, ein Familienmitglied, eine Ehefrau/ein Ehemann, eine Geliebte/ein Geliebter war. 

 

Mein Eindruck ist, dass heutzutage das Adjektiv "lieber" und "liebe" in Postings nur noch selten verwendet wird. Stattdessen lautet die Anrede in jenen Fällen, wo Eros keine Rolle spielt: "Hallo Franz!", "Hallo Waltraud!" Allenfalls noch mit freundschaftlichem Unterton: "Hallo, mein lieber Franz!", "Hallo, meine liebe Waltraud!"

 

Bei den Abschiedsformeln ist hingegen "Alles Liebe" im Vormarsch, zumindest bei den Jüngeren, vereinzelt verwenden auch Fernsehmoderatoren diese Floskel bereits als Abschiedsgruß gegenüber ihrem Publikum. Hier dürfte "Lots of love" als Vorbild dienen. "Liebe Grüße" oder "Viele liebe Grüße" sind im Zwischenmenschlichen eindeutig Auslaufmodelle. Die Älteren scheinen Vorbehalte gegenüber "Alles Liebe" zu haben, sie vermuten, dass in dieser Floskel immer eine Spur von Eros steckt.

 

Nur so nebenbei: Ein Import aus Amerika dürfte auch die Abschiedsfloskel "Ich umarme dich!" oder "Umarmung!" sein. Sie soll besondere Emotionalität ausdrücken. Wenn man jemanden gut kennt und mag, ist sie passend.

 

Generell lässt sich sagen: So wie die junge Generation das Wort Liebe heute handhabt, wird es irgendwann einmal zur gesellschaftlichen Norm werden. Im Bedeutungsumfang von "Liebe" geht der Eros, das sexuell Zwischenmenschliche, allmählich verloren. In der Übergangsphase ist die Kommunikation spannend und herausfordernd.

 

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