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AutorenbildRobert Sedlaczek

Vertranscheln: Wer kennt das Wort und weiß, wo es herkommt?

Der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler verwendete in einem "Presse"-Interview das Wort vertranscheln, und zwar so: "Es ist eine zentralistische Erzählung, dass der arme Bund die Steuern einheben muss und die Länder nichts anders zu tun haben, als das Geld zu vertranscheln. Das ist nicht der Fall."


Der von mir sehr geschätzte Redakteur Erich Kozina rätselte in einer Glosse mit dem Titel "Ein deutsches Wort, das offenbar nur Steirer kennen", woher das Wort kommen mag, und schloss mit den Worten: "Für die erste Einsendung mit einer wirklich erhellenden Literaturangabe stifte ich einen Euro. Zum Vertranscheln."


Ich bewerbe mich hiermit um den Euro. Es gibt in Wörterbüchern tatsächlich wenig Belege. Als ich in der "Presse" den Beitrag von Erich Kozina las, war mein erster Gedanke: Steht das Wort nicht in meinem "Großen Wörterbuch des Wienerischen" – es ist gerade erschienen, sodass ich niemandem einen Vorwurf machen kann, wenn er es noch nicht besitzt und noch nicht darin nachgeschlagen hat. Auf Seite 489 findet sich vertranschen mit der Bedeutung „vergeuden, zwecklos verbrauchen“; es ist verwandt mit trenzen = tropfenweise fallen lassen, im übertragenen Sinn offensichtlich mit zweierlei Verwendungsmöglichkeiten: (a) Zeit verschwenden und (b) Geld vergeuden, indem man es kleinweis und damit ineffizient ausgibt.


Das Wort steht nicht im "Österreichischen Wörterbuch", dafür ist es zu dialektal, aber man findet es im Grimm‘schen Wörterbuch, in jenem epochalen Werk, das die zwei Brüder, die auch als Märchenforscher in die Geschichte eingegangen sind, begonnen haben, und das auch noch nach ihrem Tod weitergeführt wurde. Das Stichwort lautet verträndeln, und daneben stehen die Varianten vertrenseln, vertrenzen - und letztlich auch, voilà: verträntschen.


Die Brüder Grimm haben historische Belege aus aller Herren Länder des deutschen Sprachraums zusammengetragen, aus Lothringen, Siebenbürgen, Schlesien, Luxemburg und aus dem bairisch-österreichischen Sprachraum: verträntschen oder vertrentschen geschrieben. Die Form mit l-Einschub ist ein Intensivum, aus vertrentschen wird vertrentscheln: in besonders kleinen Mengen Geld beim Fenster hinauswerfen.


Auch in den Stücken von Nestroy wird vertranscht und vertrenzt


Das Wort findet sich drei Mal bei Nestroy, es ist also auch wienerisch, war offensichtlich in Wien in Gebrauch, wurde verstanden.


o Im Stück "Höllenangst": "Da müssen wir uns in Acht nehmen, dass wir keine Zeit vertrantschen."


o In "Der Färber und sein Zwillingsbruder": "Wir brauchen doch zweimal 24 Stund bis zum Verlobungsfest, dann vertrenzen sich noch a acht Tag bis zu der Hochzeit wie nix, wie kann ich da in drei Stund zu die Räuber."


o In "Heimliches Geld, heimliche Liebe": "Es ist schwer, eine Tochter über so was aufzuklären, aber ich will nicht, dass Sie sich durch umasunstige Schwärmereihoffnungen eine praktisch solide Wirtschafts-Verehelichung vertrenzen."


Ich hoffe, dass dieser Beitrag "die erste Einsendung mit einer wirklich erhellenden Literaturangabe" ist; den Euro würde ich für einen guten Zweck spenden.

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