Der Satz auf den Wahlplakaten der Grünen ist die Umkehr eines bekannten Spruches: "als wenn es kein Morgen gäbe" oder abgewandelt "als gäbe es kein Morgen (mehr)" und "als ob es kein Morgen gäbe". Das großartige „Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache“, abrufbar unter dwds.de, führt zwei Bedeutungen an:
1. unmäßig, hemmungslos, exzessiv; so übermäßig, als gäbe es zu einem späteren Zeitpunkt keine Möglichkeit mehr, etw. Bestimmtes in angemessener Weise zu tun,
2. äußerst unüberlegt, fahrlässig, riskant; ohne an die späteren (negativen, schwerwiegenden) Folgen des eigenen Handelns zu denken.
Aus grammatischer Sicht handelt es sich um eine Irrealität: Da auf das Heute definitiv ein Morgen folgen wird, haben wir es mit einer hundertprozentigen Unwahrscheinlichkeit zu tun.
Die Originalwendung "Lebe, als wenn es kein Morgen gäbe" heißt also: Lass dich gehen, tu das, was dir Spaß macht, genieße den Tag, carpe diem, wie der Lateiner sagt. Die Grünen kehren diese Bedeutung am Plakat ins Gegenteil um: Wähle mit uns den Konsumverzicht und die Askese - es mag Grünwahler geben, die das schätzen.
Aber auch die andere Bedeutung passt: Denke an die späteren (negativen, schwerwiegenden) Folgen des eigenen Handelns. Dies ist eine Forderung, die an die Konsumenten gerichtet ist - nicht an die Produzenten, nicht an die Wirtschaft, nicht an die Politik, die die Rahmenbedingungen setzt.
Ich weiß schon, gemeint ist: Wähle eine Partei, die auf nachhaltige Lösungen setzt und mit ihren Maßnahmen auch etwas weiter in die Zukunft blickt als andere Parteien. Aber um das zu verstehen, muss man ums Eck denken und guten Willens sein.
Einziger Trost für die Grünen: Wahlen werden nicht durch Plakatwerbung entschieden.
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