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AutorenbildRobert Sedlaczek

Warum können so viele Menschen das Wort "lecker" nicht leiden?

Aktualisiert: 1. Okt.

Diese Frage stellte sich Andreas Bovelino in der Farbbeilage des "Kurier" (3. August 2024). Der Untertitel der wöchentlich erscheinenden Kolumne verschiedener Autoren und Redakteure "über Dinge, die uns im Alltag beschäftigen", lautet: "Fragen der Freizeit - und Antworten, die Sie überraschen werden."


Ich wollte mich überraschen lassen. "Bundesdeutsche Ausdrücke, sogenannte Teutonismen, sind hierzulande nicht unbedingt beliebt", konstatiert der Autor, so manchem Österreicher würde sogar "das G‘impfte aufgehen", wenn er Wörter wie Frikadellen, Brötchen oder Tüte zu hören bekommt.


Warum ausgerechnet das Wort lecker manche Gemüter derart in Wallung bringt, erscheint dem Autor "wie ein Mysterium", er hat allerdings eine Vermutung parat: "Wer in den 70er-Jahren den deutschen Karamell-Riegel 'Leckerschmecker' liebte, hat keine Berührungsängste mit dem Wort. Wer dem identen amerikanischen Konkurrenzprodukt 'Musketier' den Vorzug gab, hingegen schon."


Das ist in der Tat eine überraschende Erklärung. Dabei ist die Frage interessant, sie hat sich eine seriöse Antwort verdient. Ein Blick in die Geschichte des Wortes führt zu einer Erklärung.

Das Verb lecken (= mit der Zunge über etwas streichen) ist schon im Mittelalter belegt, es geht zurück auf ein althochdeutsches leckon oder lecc(h)on. 


Im Frühneuhochdeutschen, das ist die Sprachperiode von ungefähr 1350 bis 1650, hat sich im Süden des Sprachraums eine Form mit s-Anlaut gebildet: slecken, später schlecken. Derartige Veränderung am Wortanfang haben meist einen einfachen Grund: Die Sprecher wollen sich einer expressiven Ausdrucksweise bedienen.


Die Menschen in Süddeutschland und Österreich waren von dieser Anlautverstärkung angetan. Sie bildeten Präfixverben wie abschlecken, ausschlecken und zusammenschlecken; wenn jemand gschleckt ist, dann ist er sauber herausgeputzt - meist mit einem abwertenden Unterton gemeint.


Das "Bayrische Wörterbuch" von Johann Andreas Schmeller (1785-1852) - zu diesem Sprachraum gehören auch die österreichischen Dialekte, ausgenommen das Alemannische - nennt außerdem noch gschleckig (= naschhaft), Schleckbissen, ferner das Schleckmaul oder Gschleckmaul.


Die Sprecher waren also stolz auf ihr Wort, haben allerdings in manchen Verwendungen im Lauf der Zeit klein beigeben müssen. Statt Schleckermaul sagen wir Leckermäulchen, im Götzzitat wird nicht geschleckt, sondern geleckt. Ottfried Fischer, Kabarettist und Hauptdarsteller im "Bullen von Tölz", meinte einmal: "Wenn ich lecker höre, kommt mir der Erstkommunionskuchen hoch, in Bayern gibt es nur ein lecker: am Arsch lecka."  


Die Krux an der Sache liegt in der Adjektivbildung. Zu lecken entstand lecker, zu schmecken wäre schleckig mit derselben Bedeutung wie lecker zu erwarten, dieses Wort existiert aber nicht. Selbst gschleckig mit der Bedeutung naschhaft hat nicht überlebt.


Deshalb greifen viele zum Wort lecker, wobei die Werbewirtschaft den Ausdruck Tag und Nacht trommelt, vor allem viele der Jungen haben sich an den norddeutschen Sprachgebrauch angepasst.


So gesehen hat Andreas Bovelino vielleicht doch irgendwie recht. Aber mit dem Karamell-Riegel "Musketier" hat mein angespanntes Verhältnis zum Wort lecker nichts zu tun. Ich höre von diesem Produkt zum ersten Mal.


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