top of page

Robert Sedlaczek

Journalist und Sachbuchautor

Rezensionen

​

​

Hans Rauscher, "Der Standard", 24. Februar 2024

​

Das Wienerische wird immer weniger. Also einerseits die spezielle Klangfarbe des Wiener Dialekts (...) Oder die Wortschöpfungen wie "Schneebrunzer", laut Robert Sedlaczeks "Das große Wörterbuch des Wienerischen" (Michael-Wagner-Verlag) ein "heruntergekommener Mann, ein altersschwacher, impotenter Mann oder ein vertrottelter Greis".

​

Beides hört man noch auf den Straßen und in den "Tschocherln" (kleinen, billigen Gasthäusern), aber immer seltener (auch die TschocherIn sterben aus). Die Ursachen sind bekannt: In einer Stadt, deren Bewohner zu etwa 45 Prozent "Migrationshintergrund" haben, ist das ,"alte Wienerisch", wenn überhaupt, nur in geringem Ausmaß übernommen worden. Dafür gibt es aber das Zuwanderer-Wienerisch als eigenes Idiom ("gemma Lugner"), aber das ist ein anderes Thema und oft nach Herkunft unterschiedlich (die größte Gruppe mit Migrationshintergrund in Wien sind die Serben, gefolgt von den Türken; Definition von "Migrationshintergrund" laut Statistik Austria: "... entweder selbst oder die Eltern im Ausland geboren").

​

(...)

​

Sedlaczek hat sich eine Riesenarbeit (mit über 10.000 Stichwörtern und zahlreichen Belegstellen) angetan, aber es war eine Art Familienleistung: "Ich hatte das Glück, dass ich von meinem Vater das Wienerische schon als Kind mitbekam. Da die Familie meiner Mutter aus Böhmen stammt, gelangten tschechische Lehnwörter wie "Fatzku" (Ohrfeige, siehe "Fotzen", Anm.) in meinen Wortschatz. Meine in Zagreb geborene Frau Melita konnte mir durch die Kenntnis mehrerer slawischer Sprachen hilfreich zur Seite stehen. Meine Tochter Roberta brachte ihre Kenntnisse des modernen Wienerischen ein." Eine klassische Wiener Mischung.

​

Erich Kozina, "Die Presse", 20. November 2023

​

Museumsprache Wienerisch? Von Brennnessel bis Zwutschkerl.

​

Robert Sedlaczek legt ein Kompendium des Wienerischen vor. Und ermutigt dazu, die Begriffe zu verwenden.

​

Die Brennessel ist nicht nur eine Pflanze. Im Wienerischen verwendet man das Wort auch für eine Art Bestrafung - wenn man nämlich den Unterarm des Gegenübers mit beiden Händen quasi auswringt. In seinem Song "Nochbarskinda" zählt Voodoo Jürgens verschiedenste Begriffe für Handgreiflichkeiten auf. "Einige davon habe ich selbst nicht gekannt", sagt Robert Sedlaczek. Und das heißt schon etwas, gilt der Autor doch als Koryphäe auf dem Gebiet der österreichischen Sprache - und auch des Wienerischen.

​

Da war zum Beispiel der Sheriffstern. "Ich hab das Managment von Voodoo Jürgens angeschrieben, was das bedeutet. Und die Antwort ist postwendend gekommen." Gemeint ist damit das Zwicken in eine Brustwarze mit 180-Grad-Drehung. "Und das steht jetzt auch im Wörterbuch", sagt Sedlaczek. Im "Großen Wörerbuch des Wienerischen" nämlich, das der Autor gerade herausgebraht hat. Ein Kompendium mit mehr als 10.000 Stichwörtern. Inklusive Erklärung und etymologischer Herleitung der einzelnen Begriffe.

​

Eine amüsante Lektüre, die wissenschaftlichen Kriterien gerecht werden, aber auch für Laien interessant sein soll. Eine wichtige Grundlage war etwa das "Wörterbuch der Wiener Mundart" von Maria Hornung, ein Meilenstein der Dialektforschung. "Und ich habe die Methode vereinfacht." Während Maria Hornung die Stichwörter phonetisch, also nach Aussprache gereiht hat, bleibt Sedlaczek bei standardsprachlichen Schreibweisen. Also beispielseise "Überzieher statt Iwadsia". Das macht die Suche doch deutlich leichter.

​

Zwischen Nestroy und Austropop

​

Neben alten Wörterbüchern und Lexika hat er unter anderem auch Theaterstücke von Nestroy nach Begriffen durchforstet - "die sind ja jetzt alle im Internet abrufbar". Und auch Austropop-Songs so wie eben die Songs von Voodoo Jürgens. Und so findet man nun Wörter wie den Spitz, der in Wien den Anfang eines Rausches, eine Rindfleischsorte, einen Tritt ins Gesäß, einen Schuss mit der Schuhspitze, einen Penis oder einen scharfen Pfefferoni am Würstelstand bezeichnet. Oder man blätttert sich durch wunderschöne alte Begriffe wie Wappler, Zores oder Zwutschkerl.

​

Von null begonnen hat Sedlaczek allerdings nicht. Schon 2011 brachte er ein Buch über die Alltagssprache Österreichs heraus - und ein Wienerisch-Wörterbuch. Damals noch mit rund 3.000 Stichwörtern. Dieses ursprünglich als Taschenbuch erschienene Kompendium hat er jetzt zu einer mehr als drei Mal so starken Version ausgebaut.

​

"Ich habe sicher zehn Jahre daran gearbeitet", erzählt Sedlaczek. Zuletzt war es auch eine Ablenkung. "Meine Frau ist schwer krank geworden und sie wollte immer weniger soziale Kontakte." Da war die Beschäftigung mit Sprache eine Möglichkeit auf andere Gedanken zu kommen. Vergangenes Jahr ist seine Frau gestorben. Ihr widmete er auch dieses Buch.

​

Der Weg zur Sprache war für Sedlaczek schon beim Studium vorgezeichnet - mit Publizistik, Germanistik und Anglistik. Seine Promotion in Publizistik machte er allerdings erst, als ihn sein damaliger Chef dazu ermunterte: "Ich habe damals im Büro von Bundeskanzler Kreisky geabreitet. Er hat mich gefragt, warum ich noch nicht mit dem Studium fertig bin." Als die Antwort kam, dass die Zeit für die Dissertation fehlt, habe Kreisky gemeint: "Na dann schreiben Sie s' halt einmal. Geb ich Ihnen halt ein bissl weniger Arbeit."

​

Später arbeitete er unter anderem als Verlagsleiter beim ÖBV. Als dieser privatisiert wurde, zog sich Sedlaczek zurück. Und widmete sich anderen Projekten. Vor allem solchen mit der Sprache im Mittelpunkt. 2004 etwa mit dem Buch "Das österreichische Deutsch", in dem bundesdeutsche Begriffe österreichischen gegenübergestellt wurden. "Das ist gleichzeitig auch bei Donauland erschienen, das war eine gigantische Auflage." Neben zahlreichen Büchern schrieb er auch jahrelang eine Sprachkolumne in der "Wiener Zeitung". Nach deren Einstellung Ende Juni veröffentlichte er seine Texte nun ausschlielich online auf seiner Website sprachblog.at.

​

"Tschuck aufs Guck"

​

Mit seinem neuen Wörterbuch will er zeigen, wie reichhaltig das Wienerische ist. Und Menschen ermutigen, diesen Wortschatz auch zu gebrauchen. Damit Wienerisch nicht irgendwann zur Museumssprache wird. Immerhin, mit neuen Verfechtern des Diaekts wie Voodoo Jürgens gibt es einen Hoffnungsschimmer, dass das nicht passieren wird. In diesem Sinne: "Gib erna an Tschuck aufs Guck, an Eierbock oda a Brennnessel!" Und, alles verstanden?

​

Christoph Winder, Der Standard, 25. 11. 2023, zum "Großen Wörterbuch des Wienerischen"

​

Schlag nach bei Robert Sedlaczek: ein exzellentes Buch, um dem Wienerischen vergnüglich auf den Grund zu gehen.

​

Selbst wenn Sie nicht in Wien, sondern auswärts leben, sind Ihnen ,Gfrett', ,Gspusi' oder ,A Eitrige mit an Tüpflerten' sicher ein Begriff. (Letzteres angeblich Wiener Würstelstandjargon für eine Käsekrainer mit süßem Senf.) Bei ,harb', ,Mpasn' oder ,Schasklappersdorf' wird's komplizierter, aber kein Problem, denn mit dem Großen Wörterbuch des Wienerischen von Robert Sedlaczek steht ein neues, exzellentes Nachschlagewerk zur Verfügung.

​

Der renommierte Germanist hat zahlreiche Sprachbücher geschrieben (auch ein unanständiges Wörterbuch gemeinsam mit dem Verfasser dieser Zeilen), ebenso 18 Jahre hindurch eine Sprachkolumne für die Wiener Zeitung (wird auf www.sprachblog.at weitergeführt). Das neue große Wörterbuch, ein Opus Magnum, enthält mehr als 10.000 Stichwörter sowie eine Fülle von Belegstellen. Anders als seine Vorgängerin Maria Hornung, auf deren Wörterbuch der Wiener Mundart (2002) er häufig referenziert, konnte er bei der Manuskripterstellung die Potenziale des Internets in großem Stil nutzen.

​

Neben der Einsicht in eine Vielzahl von Lexika ließen sich so auch Werke von Nestroy und Raimund als wertvolles Quellenmaterial durchforsten. Dazu kommt historisch rezenter Stoff vom "neuen Wienerlied" bis hin zu Voodoo Jürgens, dem er besonders zugetan ist.

 

Den Anspruch, das zugleich kompletteste und komfortabelste  Gebrauchwörterbuch des Wienerischen vorzulegen, löst Sedlaczek bravorös ein. Sein Werk ist lehrreich und unerhaltsam, es dokumentiert Glanz, Witz, schillernden Konjunktiv-Charme (,I tatat kuma kena') und abgründige Brutalität: "Heast, i stopf da des Burenhäutl in die Goschn bis zum Zapferl!" (Edmund Sackbauer). Und ja es stimmt, wie die meisten Großstadtdialekte wird auch das Wienerische weniger gesprochen als früher, aber das macht es durch eine ungebrochene Lust an Wortschöpfungen wett (,Proloschlauch' für U-Bahn etc.) Ein Spezialservice des Buches: Allen, die die Wiener Mundart auch reden wollen, liefert es exakte Aussprachehinweise. Ob das Wienerische noch lebt? Aber fix.   

​

​

Auszug aus einen Interview mit Bayern 2, Sendung „Sozusagen“, 31. 7. 2020 zu Buch ,Sprachwitze'

 

Knut Cordsen: Ein ganzes Buch über Sprachwitze hat der österreichische Autor und Sprachpapst Robert Sedlaczek geschrieben. Er war schon mehrmals bei uns zu Gast, heute ist er telefonisch zugeschaltet. Ein Buch über Sprachwitze, über deren Techniken, Formen und Ursprünge ist kein Witzebuch, wohlgemerkt, auch wenn es hunderte Beispiele von Witzen versammelt ...
Robert Sedlaczek: Gemeint sind Witze, bei denen es um sprachliche Phänomene geht, Witze mit Doppeldeutigkeiten, mit Klangähnlichkeiten, Witze, in denen eine Metapher wörtlich genommen wird, bis hin zu Palindromen und Anagrammen. Ich bin der Frage nachgegangen, wie diese Witzekultur entstanden ist.

Knut Cordsen: Zu Beginn Ihres Buches schreiben Sie: „Kurze Witze mit einem Doppelklang als Pointe entsprechen unserer schnelllebigen Zeit. Sie werden nicht nur erzählt, sondern gemailt, getextet, gepostet, nicht jeder kann über sie lachen, aber offensichtlich haben sie eine große Anhängerschaft.“

Robert Sedlaczek: Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen nicht mehr die Geduld haben, einem längeren Witz zuzuhören. Und manche dieser sogenannten Flachwitze, die an die Stelle der alten Kalauer getreten sind, funktionieren nur mehr schriftlich: „Warum können Piraten keinen Kreis fahren? Weil sie phi-raten!“ Wenn man diesen Witz versteht, hat man natürlich auch ein Erfolgserlebnis.

Knut Cordsen: Wobei ja Einzeiler nicht nur das Merkmal unserer Zeit sind, wenn ich da an Lichtenberg oder an den großen Karl Kraus denke. Aphorismen gehören aus Ihrer Sicht auch zum Thema?

Robert Sedlaczek: Ich habe mich intensiv mit Sigmund Freud befasst. Sein Buch über den Witz und die Beziehung zum Unbewussten war ein Meilenstein. Es enthält hauptsächlich Aphorismen und ein paar Sprachwitze. Situationswitze sind bei Freud noch nicht zu finden, darunter versteht man Witze, die man verfilmen und auf Youtube stellen könnte. Unser Witzekultur mit einer Pointe am Schluss gibt es erst seit Ende des 19. Jahrhunderts. Vorläufer waren Schwänke, Anekdoten und kurze Geschichten, die von der Beschreibung eines Lokalkolorits leben.

Knut Cordsen: Die reichhaltige jüdische Tradition von Sprachwitzen ist auch ein großes Thema in Ihrem Buch. Sie schreiben: „Jedenfalls ist es kein Wunder, dass sich das Spielen mit der Sprache und das Erfinden von Sprachwitzen unter Juden einer besonderen Beliebtheit erfreute und anderen als Vorbild diente.“

Robert Sedlaczek: In der uralten Sprache der Juden wurden nur die Konsonanten geschrieben, die Vokale musste man sich hinzudenken. Außerdem fehlten die Satzzeichen. Das wirft Fragen auf: Wo beginnt ein Satz, wo endet er? Ist es ein Aussagesatz oder ein Fragesatz? Daraus sind Witze entstanden, zum Beispiel dieser: Ein 80-jähriger Mann hat ein Kind bekommen und fragt den Rebbe: „Ist das Kind von mir?“ Darauf der Rebbe: „Ist es von dir, ist’s a Wunder. Ist es nicht von dir, ist’s a Wunder?“

​

Gregor Auenhammer in „Der Standard“, 12. 10. 2020, zum Buch "Sprachwitze"

​

Mit absichtlichen verbalen Doppeldeutigkeiten, bewussten (und unbewussten) Entgleisungen, Missverständnissen, mit Sinnveränderungen durch unterschiedliche Betonung, mit überraschenden Mischkulanzen, Meschuggasen und Wortspielen beschäftigte sich Robert Sedlaczek. Der 1952 in Wien geborene Germanist und Publizist (Kolumnist der Wiener Zeitung) präsentiert nun nach diversen Nachschlagwerken über Ausgesprochenes sowie Unaussprechliches (gemeinsam mit STANDARD-Autor Christoph Winder) eine Art Lexikon über Sprachwitze. Die herausgestreckte Zunge auf dem Cover lässt tief blicken und bleibt nicht unbegründet. In amüsanter und geistreicher Art und Weise präsentiert Sedlaczek perfekte Pointen, Palindrome und Schüttelreime, dekuvriert billige Kalauer und wichtige Tabus, aggressive und obszöne Witze, seichte Metawitze und geistige Flachwichser, trennt Dialekt und Dialektik, entlarvt Tiefsinniges, Abgründiges und Naheliegendes. Sigi Freud, schau oba! Dass dem "jüdischen Witz" qua "angewandte Verbalakrobatik" eine besondere Bedeutung zukommt, versteht sich eigentlich ganz von selbst.

​

Rotraut Schöberl am 22. 9. 2020 im Puls-4-Literatur-Talk "Die Buchtipps der Woche" zum Buch "Sprachwitze"

​

Robert Sedlaczek ist ein Fachmann für alles, was die Sprache betrifft, er hat sich seit langem auch mit dem Wienerischen befasst. Jetzt hat er ein Buch mit 500 Witzen herausgebracht. Ich kann euch sagen: Ich hab diese Witze im Leporello (meiner Buchhandlung) vorgelesen - da konnte keiner mehr weiterarbeiten. Wie immer bei ihm: Du bekommst die Entstehungsgeschichte dazu, und auch die Analyse, du liest, wie der Witz funktioniert. Meine Lieblingspointen von Herrn Waldbrunn, nämlich dem Herrn Schöberl (!), sind auch dabei. Wenn man sich ernsthaft oder nicht ernsthaft mit Witzen beschäftigen will, dann ist es genau das richtige Buch. Es ist sogar für den Sprachwissenschafter interessant.

​

Renate Wagner zu "Die Tante Jolesch und ihre Zeit. Eine Recherche" auf onlinemerker.com

​

Dass es die Tante Jolesch gibt, ist gar keine Frage. Die Dame ist sprichwörtlich, wird gerne in ihren markigen Aussprüchen zitiert (sie gehört quasi zum wienerischen Wortschatz), ist heiterer Kulturbesitz („Was ein Mann schöner is wie ein Aff, ist ein Luxus“ – das ist wohl so! „Gott bewahre mich vor die Sachen, die noch a Glück sind“ – wie Recht sie hat! „Zwetschkenröster sind kein Kompott“ – aber wirklich nicht!).

Ob es „die“ Tante Jolesch gegeben hat, ist fraglich. Wie viel Friedrich Torberg erfunden hat, wie viel er von Erzähltem verwertete und verschmolz und ergänzte und verbesserte, war eigentlich nie eine Frage, weil es darauf nicht ankommt. Robert Sedlaczek, ein Mann mit vielen Karrieren (u.a. Kreisky-Mitarbeiter, Journalist, Sachbuchautor), nahm das Thema ernst und wichtig. „Die Tante Jolesch und ihre Zeit“, ganz schlicht „Eine Recherche“ genannt, steigt tief hinab in den Kosmos des jüdischen Wien von einst hinab – und in die Werkstatt des Friedrich Torberg.

​

Begonnen hat es mit Gesprächen im Kaffeehaus, mit dem Interesse an Figuren der Vergangenheit, die halb legendär im Nebel des faktisch nicht wirklich Fassbaren schweben. Ausgangspunkt: ein Rechtsanwalt, der glänzend Tarock spielte, u.a. mit Leo Perutz. Sein Name war Hugo Sperber. Den findet man auch bei Torberg als „der Anekdote liebstes Kind nach Franz Molnar“. Also zumindest war er „echt“ und Lieferant vieler „Sperberiana“ – und dem Autor Sedlaczek eine Recherche wert. Und aus kleinen Anfängen wurde eine lange Geschichte, die sich auf 296 durchaus eng bedruckten Buchseiten auf die Spur der Tante Jolesch setzt. Denn die taucht notwendigerweise bald nach Sperber auf – sie waren nämlich irgendwie, wie alle Juden über zehn Ecken, miteinander verwandt…

​

Es ist ein journalistisches Buch, denn es schildert nicht nur die Ergebnisse (wie es ein Biograph täte), sondern die Recherche selbst mit ihren Schwierigkeiten, Sackgassen, Glückszufällen, die unermüdlich Suchende dann doch weiter kommen lassen. Sperber, seines Zeichens Anwalt, der einem „jüdischen Verwandten Franz Schuberts“ glich, stößt das Tor zu einem Kreis von Menschen auf, die von der untergehenden Monarchie über Ersten Weltkrieg und dem, was wir heute „Zwischenkriegszeit“ nennen, bis zu Hitler kamen – und meist nicht weiter, wenn sie nicht großräumig auswichen. Jüdische Intellektuelle, die großteils Käuze waren – Kisch, Kuh, Werfel, Perutz und viele mehr, die damals im Kaffeehaus saßen, wobei für den interessierten Leser dann besondere jene Figuren packend sind, die es nicht zu nachhaltigem Ruhm gebracht haben, die aber zu ihrer Zeit eine gewaltige Rolle spielten…

​

Und irgendwann erscheint aus diesem Kreis dann auch – vielleicht, ist sie es, ist es eine andere? – die Dame, für die Sedlaczek sich so interessiert: die Tante Jolesch. Angeblich hat Georg Markus schon ihre Identität enthüllt. War es jene Gisela Salacz, die den Fabriksdirektor Julius Jolesch geheiratet hat und über die deren Neffe Franz dann Friedrich Torberg berichtet hat? Den Neffen Franz hat es sicher gegeben, der hatte eine interessante Ehefrau (die später noch andere interessante Ehemänner hatte), und diese Louise Fischer wiederum hat strikt geleugnet, dass es in der Familie überhaupt eine „Tante“ gegeben hätte. Also?

 

Man geht zu Georg Gaugusch, der das unglaubliche Buch über die Juden Wiens geschrieben hat, der erste Band bis K ist fertig, am zweiten malocht er noch. Er findet, was sich in den vorhandenen Materialien nur finden lässt (und hat alles im Computer). Und eines steht fest: Die Gisela Salacz als angeheiratete Tante des „Neffen“ Franz Jolesch gab es. Ihr Schicksal, geboren 1874 in Großwardein, gestorben 65jährig in Budapest, ist auch nachzuvollziehen. Aber war sie es?

 

Bei der Familie von Franz Jolesch in Iglau war der junge Friedrich Toberg in den dreißiger Jahren, aufstrebender Autor mit „Schüler Gerber“-Ruhm, jedenfalls mehrfach zu Besuch. Will man sich dann in die Familie Jolesch einlassen, wird es wild – so viele stürmische Persönlichkeiten. Etwa die Luise Gosztonyi, die aus der Schule von Eugene Schwarzwald kommt (langer Exkurs über diese) und erst einen gewissen Georg Boschan heiratet. Denn den Franz Jolesch. Dann den Komponisten Hanns Eisler. Dann Wiens Parade-Kommunisten Ernst Fischer. Ihren letzten Lebensgefährten, den Sprachwissenschaftler Karl Menges, hat sie nicht mehr geheiratet… Aber sonst kann sie es fast mit Alma aufnehmen. In die Literatur ist sie auch eingegangen – als jüdische Frau in Brechts „Furcht und Elend des Dritten Reichs“. Dass sie lila Dessous trug, war legendär. Sie ist übrigens jene Luise, die die Existenz der Tante Jolesch geleugnet hat und empört fand, Torberg habe ihren Exgatten Franz in seinem „Tante Jolesch“-Buch einfach dumm aussehen lassen…

 

Das Buch läuft in so viele Richtungen, weil der Autor sich begeistert auf jene neue Information stürzt, dass es gar nicht so einfach ist, immer wieder zur Tante – von Torberg 1975 in Buchform vorgelegt – zurück zu finden. Torberg selbst als Autor ist natürlich auch ein Thema: Es ist der geduldige Weg durch seinen Nachlass in der Handschriftensammlung der Nationalbibliothek. Auf der Suche nach Torbergs Arbeitsweise in Tonnen seiner Briefe. Tatsächlich haben ihn zahllose „Zuträger“ erster Ordnung mit Anekdoten versorgt. Begreiflich, dass der Torberg selbst im Laufe der Jahre die Übersicht darüber verloren hat, wem er was verdankt. Sedlacek jedenfalls würdigt jene Ideenlieferanten, die er finden konnte… Denn bei den „Perlen geistigen Eigentums“ herrscht, wie man weiß, „immer Kommunismus“, und Torberg war mit seinem Buch der Erbe des kollektiven Besitzes jüdischer Anekdoten.

 

Natürlich führt eine Recherche wie diese tief ins Politische, und Torberg, der leidenschaftliche Antikommunist, der – da gilt wohl keine Unschuldsvermutung mehr – als Spion für die Amerikaner arbeitete, hat sich von den „linken“ Gefährten seiner Frühzeit später wohl nicht immer nobel abgegrenzt. Er hat vielen Juden auch mit der „Tante Jolesch“ keine Freude gemacht, weil er – wie manche meinten – ein einerseits zu klischiertes, andererseits zu idyllisches Bild der „verlorenen jüdischen Welt“ zeichnete. Aber das war es wohl, was sein Buch vor allem bei Nichtjuden so beliebt gemacht hat…

Ist die Tante Jolesch gefunden? Vermutlich haben viele spitzzüngige jüdische „Tanten“ hier zusammengearbeitet, um die eine, die wunderbare, den Prototyp, erstehen zu lassen. Wunderbar auch, dass ein Buch, das eigentlich das Spezialinteresse einer vermutlich eher dünnen Leserschicht bedient, einen Verlag und so liebevolle Gestaltung findet. Als Wiedergutmachung – warum nicht auch das.

​

Der Leser wird gerade durch die labyrinthische Fülle des Geborenen belohnt: Das Buch führt auch in allerlei Nebenwege, wenn eine Figur auftaucht, muss schnell noch so viel wie möglich über sie erzählt werden – Kreisky etwa, der die Wege von Hugo Sperber ebenso kreuzte wie jene von Friedrich Torberg. Also, „Der Mann ohne Eigenschaften“ war zwar offiziell das Lieblingsbuch von Bruno Kreisky, aber ganz besonders hat er, der sich sein Judentum nie umhängen wollte, „Nachts unter der steinernen Brücke“ von Leo Perutz geliebt. Ein Telefongespräch Kreiskys mit Willy Brandt, von Sedlaczek „belauscht“, begann mit der Einleitung: „Was liest Du gerade?“ Ja, wenn solche Leute ein Land führen… (Würde man wagen, das unsere heutigen Politiker zu fragen?)

​

Johannes Reiss schreibt am 23. 10. 2018 im Blog des Jüdischen Museums Wien

 

Franz Jolesch starb am 25. Juli 1961 in Santiago de Chile und ist am jüdischen Friedhof daselbst in Sektor R, Reihe 5, Nummer 24 begraben. Im Friedhofsregister ist Franz Jolesch eingetragen, die Messingbuchstaben der Grabinschrift sind bis auf zwei Zahlen verschwunden (gestohlen?). Allerdings macht die Rückseite des Grabsteines sicher, dass es sich wirklich um den Grabstein von Franz Jolesch handelt: „In Liebe Deine Kató“.

​

Schon ganz am Anfang des ersten Kapitels von Friedrich Torbergs „Tante Jolesch“ wird der Tante Lieblingsneffe Franz vorgestellt: „Was nun die Tante Jolesch selbst betrifft, so verdanke ich die Kenntnis ihrer Existenz ‒ und vieler der von ihr überlieferten Aussprüche ‒ meiner Freundschaft mit ihrem Neffen Franz, dem lieben, allseits verhätschelten Sprössling einer ursprünglich aus Ungarn stammenden Industriellenfamilie, die seit langem in einer der deutschen Sprachinseln Mährens ansässig und zu beträchtlichem Wohlstand gelangt war. (…) Ich war wiederholt auf dem mährischen Besitz seiner Familie zu Gast … Die einrückenden Deutschen hatten ihn 1939 als Juden eingesperrt, die befreiten Tschechen hatten ihn 1945 als Deutschen ausgewiesen. Man könnte sagen, dass sich auf seinem Rücken die übergangslose Umwandlung des Davidsterns in ein Hakenkreuz vollzog. Er verbrachte dann noch einige Zeit in Wien und übersiedelte schließlich nach Chile, wo er bald darauf an den Folgen seiner KZ-Haft gestorben ist. Die Tante Jolesch hat das alles nicht mehr erlebt …“

​

Als wir vor einigen Jahren einer 1939 von Wien nach Santiago de Chile emigrierten Dame, die vor einigen Tagen ihren 90. Geburtstag feierte, das Buch „Tante Jolesch“ übergaben, rief sie erfreut nach dem Lesen der ersten Zeilen über den Neffen Franz: „Ja, ich habe Franz Jolesch noch persönlich gekannt“. Selbstverständlich wusste Torberg sehr wohl, dass Franz 1961 in Chile verstorben ist ‒ und nicht kurz nach seiner Ankunft in Chile ‒, er hatte seiner Frau Katharina (Kató) zum Tod von Franz Jolesch kondoliert. Dennoch kann man verstehen, warum Torberg dieses Detail der Biografie umgeschrieben hat. Er wollte zeigen, dass Überlebende der Konzentrationslager oft recht bald an den dort erlittenen physischen und psychischen Wunden verstorben sind. Auch sie sind Opfer der Schoa.

​

Schon vor gut fünf Jahren hatten sich Robert Sedlaczek mit der Tante Jolesch sowie Georg Gaugusch mit der Genealogie zur Familie Jolesch, die er für das Buch von Sedlaczek zur Verfügung stellte, intensiv beschäftigt ‒ beide Autoren nennen allerdings weder ein genaues Sterbedatum noch den Begräbnisort von Franz Jolesch.

https://www.ojm.at/blog/2018/10/23/franz-jolesch/


Heute, 28. 3. 2017, zum Buch "Österreichisch für Anfänger"

​

Wussten Sie, dass Gspusi vom Italienischen sposi (Verlobte/Eheleute) kommt? Und dass ein Bier nicht unbedingt ein 16er-Blech sein muss? Nein? Dann sind sie ein sprachliches Nockapatzl und sollten sich überlegen, sich „Österreichisch für Anfänger“ (Amalthea) zuzulegen. Und falls Sie beim Lesen nicht loslachen – spätestens beim Anschauen der Bilder werden Sie sicher wiehern.


Franz Küberl, Die Furche, 25. 8. 2016, zum Buch "Die Kulturgeschichte des Tarockspiels"

​

Vor gar nicht so langer Zeit gehörte es in so manchem Priesterseminar Österreichs zum guten Ton, dass Alumnen auch Tarock spielen lernten, um Weihehindernisse aus dem Weg zu räumen und im priesterlichen Leben auch am Kartentisch Mann Gottes sein zu können. Es war ein langer Weg bis dorthin, denn das Tarockspiel (wohl um 1440 in Italien entstanden) galt - wie einer am Ende des 15. Jahrhunderts gedruckten Bannpredigt eines umbrischen Franziskanermönchs zu entnehmen ist - als des Teufels. "Nichts ist für Gott in der Welt so hassenswert wie die trionfi des Tarockspiels. Die 21 Trionfi sind die 21 Sprossen einer Leiter, die den Menschen in die Tiefe der Hölle führen."

​

Wolfgang Mayr und Robert Sedlaczek gehen in ihrer Kulturgeschichte des Tarockspiels genau vor. Die Ausbreitung des Tarocks über das ursprüngliche Spielzentrum Norditalien (Ferrara, Bologna, Florenz, Mailand) nach Frankreich, später über die Schweiz in die Habsburger Monarchie wird ebenso nachgezeichnet, wie die Vervielfältigung der Spielarten (heute kennt man etwa 20 Grundformen von Tarock) und Spielvariationen - weil bestimmte Karten mit zusätzlichen Werten versehen werden, neue Kombinationen dazukommen. Mit jedem Ausbreitungsgebiet kommen neue Spielvarianten dazu. Im 19. Jahrhundert wird die Extrakarte "Narr" zum "Gstieß" und zum höchsten Tarock; die Tarockkarte XXI, ursprünglich "Welt" genannt, bekommt den heute üblichen Namen "Mond"(franz. "le Monde"). Gespielt wurde und wird -je nach Landstrich - mit Kartenpaketen zwischen 40 bzw. 42 (Budapest) und 78 (Italien) Karten. Aber immer mit 22 Tarock. Den Österreichern war die Variante mit 54 Karten am haltbarsten. Zwei, drei, meistens aber vier Personen spielen miteinander.

​

Über lange Zeit wurden Tarockkarten von Hand gefertigt. Später, mit den fortschreitenden Druckverfahren, werden die Karten für viele Menschen erst erschwinglich. 1754 ist dann das erste deutschsprachige Tarockregelheft "Regeln bey dem Taroc-Spiele" in Leipzig erschienen.

​

Die Popularität des Tarocks führte dazu, dass Kaiserin Maria Theresia für Böhmen und die österreichischen und böhmischen Erbländer eine Steuer von 7 Kreuzer pro Tarockpaket einheben ließ. Der Erzbischof von Salzburg war teurer: 30 Kreuzer waren für ein Packerl Tarockkarten zu zahlen.

​

Und dann gibt es eine große Zahl populärer Spieler. Spielerische, Verbissene, Exzellente, Leidenschaftliche: Mozart, Nestroy, Radetzky (der angeblich sein halbes Vermögen verspielte) - wie überhaupt in der k. u. k Armee Tarockieren querfeldein beliebt war. Johann Strauß -ihm war das Tarockieren angeblich lieber als das Komponieren. Kaiser Franz Joseph war zwar auf vielen Tarockkarten abgebildet, er blieb allerdings der Jagd treu. Marie Ebner von Eschenbach - sie steht für viele Frauen der gehobeneren Schicht, die gerne tarockierten. Genauso wie Siegmund Freud, der legendäre Dr. Sperber (bekannt aus der Tante Jolesch), aber auch Peter Handke, der in seinem Buch "Der Chinese des Schmerzes" tarockverewigend schreibt. Handke spielte in Salzburg in einer Runde, an der auch der kunst- und geschichtssinnige Salzburger Prälat Johannes Neuhardt teilhatte.

​

Natürlich streifen die begnadeten Tarockierer Mayr & Sedlaczek in ihrer präzisen und tiefsinnigen, aber immer das Akribische durch das Heitere entschärfenden Recherche auch das Milieu der Caféhäuser. Jonas Abeles Café in Wien wurde einst sogar zum Synonym einer schwindelsicheren Variante des Gebens.

​

Dass Politiker tarockieren, weiß man aus den Seitenblicken des ORF. Aber die genaue Auflistung gibt es in diesem Buch. Der erste Staatskanzler der Republik, Karl Renner, tarockierte ebenso (1919 in St. Germain mehr als er eigentlich wollte) wie praktisch alle Kanzler, hohen Politiker und Journalisten der Zweiten Republik. Auch die tarockierenden katholischen Bischöfe Krautwaschl und Scheuer, wie auch der evangelische Landesbischof Michael Bünker sind dem Radar der beiden Autoren nicht entgangen.

Abgerundet wird das für Tarockinteressierte äußerst lesenswerte Buch mit einem sprachlichen Rundblick zu den unzähligen Tarockbegriffen und Sonderbeispielen aus dem "tarockanischen " Leben - vom polnischen Königrufen bis zum Brixentaler Bauerntarock (originellerweise mit doppeldeutschen Karten).

​

Nach dem Lesen bleibt: auf zum nächsten Tarockspiel, bei dem man nicht nur mit guten Karten sondern auch mit enormem Wissenszuwachs brillieren kann.

​

"Die Presse", 4. 6. 2016, unter dem Titel "Blitzgneisser" zum Buch "Österreichisch fia Fuaßboifäns"

​

Und wenn vom Wunderteam-Mittelstürmer Matthias Sindelar die Rede ist, erfahren wir im heiteren ,Lexikon Österreichisch fia Fuaßboifäns', dass dessen Spitzname, wegen des schmächtigen Körperbaus, ,der Papierene' war. Denn wie jedes Metier hat auch der Fußball mit seinen Spielern und Anhängern eine ,Fachsprache' entwickelt, meist im Dialekt.

 

Robert Sedlaczek hat diesen vom Verschwinden bedrohten heimischen Wortschatz geborgen und Herkunft wie Bedeutung von unter anderem Sitza, Spitz und Feaschla, Eiagoli und Steiragoi, Tragl, Tröpfla und Außnpracka erklärt; Martin Czapka steuerte die Illustration der Begriffe bei.

​

Die Furche, 6. 2. 2014, zum Buch "Die Tante Jolesch und ihre Zeit"

​

Jeder kennt die Tante Jolesch. Aber stammen die Sprüche, die die Frau getan haben soll, auch tatsächlich von ihr? Friedrich Torberg hat eine Antwort auf diese Frage gleich in der Einleitung seines berühmten Buches gegeben. Die Tante Jolesch, so heißt es dort, hat tatsächlich gelebt und die meisten ihrer Sprüche selbst getan. Allerdings, so Torberg weiter, sollte man aufpassen, denn die Tante Jolesch ist eben keine Person im konventionellen Sinn, sondern ein Typus. Nichtsdestotrotz: Auf eine lange Recherche nach der Person der Tante Jolesch hat sich jetzt in einem eigenen Buch der österreichische Autor Robert Sedlaczek gemacht. (...)

Viele Freunde und Bekannte haben Torberg über Jahrzehnte hinweg Geschichten aus dem jüdischen Vorkriegs-Wien zugetragen. Von ihm, einem wahren "Dr. Anekdoteles“, wurden sie gesammelt und in dem Erfolgsbuch aus dem Jahr 1975 unter dem Namen der Tante Jolesch zusammengefügt. Wenn man neudeutsch will, ist die alte Dame also vor allem eins: ein in sich selbst verwachsenes Diskurskonglomerat.

​

Das Jüdische Museum Wien zur Ankündigung der Buchpräsentation "Die Tante Jolesch und ihre Zeit" mit Daniela Spera und Tarek Leitner am 13. 5. 2013

​

Hat es die Tante Jolesch, den Neffen Franzl und die Lieblingsnichte Louise wirklich gegeben? Und wer war Hugo Sperber? Robert Sedlaczek begibt sich gemeinsam mit Wolfgang Mayr auf eine Spurensuche zu den Figuren aus Torbergs berühmtem Buch und ihrem realen Hintergrund. Ihre Recherche geht aus von der Figur des berühmten Rechtsanwalts Hugo Sperber, der Bruno Kreisky beinahe im „Sozialistenprozess“ verteidigt hätte. In der Folge stoßen die Autoren auf überraschende Querverbindungen von Mitgliedern der Familie Jolesch zu bekannten Persönlichkeiten, aber auch auf neue und interessante Facetten aus dem Leben Torbergs und Kreiskys. Schließlich finden sie auch eine mögliche Antwort auf die Frage: Wer war die Tante Jolesch wirklich? Sie zeigen außerdem, wie Friedrich Torberg Material für sein Buch gesammelt hat, und erzählen vergessene Anekdoten aus der Welt der Tante Jolesch.

​

Der Standard, 22. 10. 2011, zum "Wörterbuch der Alltagssprache"

​

Robert Sedlaczek ist ein unermüdlicher Wort-Arbeiter und Wort-Erforscher: Nur ein halbes Jahr nach seinem trefflichen Wörterbuch der Alltagssprache Österreichs doppelt der bekannte Publizist, Journalist und Kolumnist der Wiener Zeitung mit einem nicht minder trefflichen Wörterbuch des Wienerischen nach, das wie auch das zuvor genannte Werk im rührigen Tiroler Haymon-Verlag erschienen ist. Mit einem Wörterbuch über das Wienerische bewegt man sich natürlich auf einem schon beackerten Feld. Allerdings haben die bekanntesten einschlägigen Werke, sprich die von Peter Wehle und Wolfgang Teuschl auch schon mehr als 30 Jahre (Wehle) bzw. 20 Jahre (Teuschl) auf dem Buckel, sodass vieles, was Sedlaczek gemeinsam mit seiner Gattin Melita zusammengetragen hat, rezenteren Datum ist. (…) An jüngeren Quellen, die nach bemerkenswertem Wiener Wortmaterial durchforstet wurden, nennt Sedlaczek den Kaisermühlenblues (von 1992 an) oder Trautmann, aber auch Texte von Musikern wie Adi Hirschal, dem Nino aus Wien, Ernst Molden, dem Ostbahn-Kurti, Roland Neuwirth oder dem famosen Trio Lepschi, das bei der Präsentation des Buches spektakulär aufspielte. (…) Ein unverzichtbares Vademecum für alle, denen das Wienerische am Herzen liegt.

​

Peter Pisa, Kurier, 11. 6. 2011, zum "Wörterbuch der Alltagssprache"

​

Es gibt keine Pfürze mehr. Gepfarzt wird nicht und gepforzt. Trutschen sind selten geworden, und a Klobassa bestellt kaum noch jemand beim Würstelstandl. Unsere Mundart ist die fescheste zwischen Scheibbs und Nebraska, und dieses Wörterbuch ist der Beweis, dass man trenzen müsst, wenn sie untergeht. Hoffentlich gneißen das viele."

​

Franz Schuh, Die Zeit, 14. 2. 2011, zum "Wörterbuch der Alltagssprache"

​

Der Terminus Alltagssprache ist gut gewählt: Sedlaczeks gesammelte Wörter gehören nicht unbedingt zum Dialekt, können sich in ihm aber durchaus sehen lassen. (…) „Verwordakelt“ sagt leider kaum ein Mensch mehr, weshalb ich es hier nicht oft genug niederschreiben kann. Die Schreibweise mit „k“ ist mir lieber als „verwordagelt“. Das „k“ kracht besser und ist daher tüchtiger in der Mimesis. Es sagt deutlicher, dass etwas ganz und gar nicht zusammenpasst und windschief herumhängt. Ein weiteres Wort verdient besondere Aufmerksamkeit: „tramhapert“. Wir Wiener sind darauf stolz, tramhapert sein zu können. In Mexiko mag man bei der Siesta allenfalls verschlafen oder benommen sein. Tramhapert sind wir. „Hapert“ spielt aufs Haupt an, in dem die Träume abgehen, und dieser wunderbare, nicht ungefährliche Zustand zwischen Wachen und Träumen erlaubt es, unkonzentriert zu sein. Im Hochdeutschen gibt es kein besseres Wort für den fragwürdigen Zustand. So ein Wörterbuch lehrt, wie in ein und derselben Sprache das Unübersetzbare blüht.

​

ORF-Wien-Online, 21. März 2011

​

Robert Sedlaczeks "Wörterbuch der Alltagssprache Österreichs" kann an ihm nicht vorübergehen: ORF-Chefsprecher Herbert Dobrovolny hat das Buch gelesen und für wien.ORF.at bewertet.

​

A waun ma ned zuagrast ist, vasteht ma Bahnhof, wenn es um das Wienerische im Speziellen oder die österreichische Alltagssprache im Allgemeinen geht. Robert Sedlaczek legt nun zum Wesen und zur Eigenart der österreichischen Sprache sein "Wörterbuch der Alltagssprache Österreichs" vor.

​

Die Frage ist: Bringt's des Bichl? Jo, scho! Das erste Taschenwörterbuch der österreichischen Alltagssprache enthält mehr als 2.500 Stichwörter samt etymologischen Erläuterungen.

​

Und es ist ein Born der Heiterkeit und des neuen Wissens und Verstehens. Es geht beispielsweise um die Frage, welche Ausdrücke ein aus Deutschland Zuagraster erlernen soll, um in Österreich sprachlich nicht auffällig zu werden. Wendungen wie "Sprung in der Marillen" oder "ein auf’g’stellter Mausdreck" zeugen von sprachlicher Integrationsbereitschaft. Und das kommt bei uns Österreichern ja immer gut an.

​

Natürlich darf in einem solchen Buch Cordoba nicht fehlen. Nicht das "I wer’d narrisch" – das ist ja schon in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen und wird auch von Deutschen verstanden. Sondern vielmehr ein Ausschnitt aus dem Kabarett "Cordoba. Das Rückspiel":

"Na ja, mir ham jetzt vü Deitsche, an ganzn Schüppl, eigentlich mehr als friahrer (…) Von der Akzeptanz her gibt’s da kaane Probleme. Wenn du das nicht zu sehr betonst von der Sprache her, wird das eigentlich alles ganz normal toleriert, gö!" Mit diesem Beispiel wird auch gleich das Wort "Schüppel" erläutert, ebenso wie das abschließende "gö", mit dem ein Österreicher nach Zustimmung heischt.

​

Wenn Sie wissen, wos "sich ins Gwand haun", jemanden "an Stösser gebn" oder "a Strizziauto und a Stråßentuttel" haast – ja, dann sollten Sie sich das Buch nicht kaufen.

Denn diese Begriffe, die sich in bekannten Wienerliedern (Qualtingers "Der gschupfte Ferdl") oder in Roland Düringers Programm "Benzinbrüder" finden, werden von ihren Ursprüngen und Bedeutungen anschaulich erklärt.

Auch in guten Schlagertexten finden sich vom Aussterben bedrohte Wörter, die damit der Vergessenheit entrissen werden. So hat André Heller das berühmte Lied "Schnucki, ach Schnucki" von Hermann Leopoldi neu interpretiert.

Es enthält den bemerkenswerten Satz: "Ich geh doch nicht mit so an Gauch / mit aaner Glatzn und an Bauch." Wer weiß noch, was ein Gauch ist? Und wer kennt die Etymologie dieses Ausdrucks? Georg Danzer wiederum hat uns in der "Ballade vom versteckten Tschurifetzen" erklärt, wofür "so ein Tüchl" gut ist.

​

Zitiert wird aber nicht nur Wienerisches. Das in Oberösterreich gängige Wort "drawig" wird mit einem Liedtext des Hubert von Goisern erläutert: "drawig ham ma’s heut, weit drawiger wie gestern nu, und morgen hab i no weniger Zeit".

​

"Na servas, dös is a Spruch" könnte man sich manchmal denken, wenn man Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zuhört (und sie vielleicht nicht gleich versteht). Sedlaczek erinnert in diesem Zusammenhang an einen Satz von Alfred Gusenbauer: "Wird das heute was Ordentliches in Donawitz oder das übliche Gesudere?"

​

Jahrzehnte zuvor hat Gerd Bacher als ORF-Generalintendant mit einer Aussage über die Mitarbeiterinnen des Hauses Aufsehen erregt: "Trutschen, Pritschen und Mentscher, die ihre Prüfungen besser im Bett als im Büro machen." Und Herbert Hufnagl machte den Hättiwari salonfähig – die ungerechtfertigte Ausrede (nicht nur von Gerhard Berger), was gewesen wäre, wenn ... ja, wenn ....

​

Robert Löffler, Krone am Sonntag, zum "Wörterbuch des Wienerischen"

​

Das ist ein Wörterbuch, in dem ich weniger nachschlage als herumlese. Schöne neue und alte Wörter begegnen einem da, die das Herz erwärmen. Papst Locherl, Patschachter, Tschesen, Netsch usw. Nicht alles daraus versteht jedermann. In der Fernsehsendung „Wien heute“ wurde die Probe gemacht. Nun weiß ich wohl, dass solche Proben und Befragungen immer manipuliert sind. Man lässt zehn Leute etwas in die Kamera sagen und sendet dann jene Äußerung, die einem am besten ins Konzept passt. Aber das Konzept war diesmal, wenn man so sagen darf: ehrenwert und der Wahrheit entsprechend. Nämlich die Aussage, dass viele junge Leute – und freilich auch ältere Herrschaften – nichts mehr mit den guten alten Begriffen anzufangen wissen. Einer hatte auf die Frage, was „höscherln“ bedeuten mag, statt „jemanden zum Narren halten“ die Vermutung: „Jemandem mit einem Eichkatzlschwanz attackieren?“

 

Der Autor Sedlaczek versteht es auch, wie es sich für die Kolumnisten gehört, sein Werk mit Witz zu würzen, indem er Beispiele für Vokabel aus dem heutigen Lachen zitiert. Stichwort „Leberkäs“: „Sagen Sie was Blödes, damit ich nicht weinen muss …“ Josef Hader: „Wissen Sie, woraus der Leberkäs gemacht wird? Aus de Restln von de Knackwürst. Und woraus wern die Knackwürst gemacht? Aus den Restl vom Leberkäs. Und das geht so weida. Ewig.“ Kurzum: Es ist lustig zu lesen in diesem Büchl und germanistisch gescheiter wird man auch.

​

Die Furche, 25. 10. 2007, zum Buch "Das österreichische Deutsch"

​

Auch populäre Bücher orientieren sich vor allem am österreichischen Sonderwortschatz. "Das österreichische Deutsch" von Robert Sedlaczek etwa versammelt zahlreiche hierzulande gebräuchliche Wörter, illustriert und kommentiert ihre Verwendung und stellt ihnen die entsprechenden bundesdeutschen Ausdrücke gegenüber. Das Buch enthält aber auch umfangreichere Artikel über das Perfekt als Erzählform und das von Thomas Bernhard so gerne verwendete doppelte Perfekt ("er hat es vergessen gehabt"). Jüngst hat Sedlaczek sein "Kleines Handbuch der bedrohten Wörter Österreichs" vorgelegt.

​

Der Standard, 20. 9. 2004, zum Buch "Das österreichische Deutsch"

​

"Der Österreicher unterscheidet sich vom Deutschen durch die gemeinsame Sprache!" Häufig wird dieses Zitat Karl Kraus zugeschrieben. Falsch, sagt Robert Sedlaczek. Er hat die EDV-Erfassung aller Kraus-Texte konsultiert und das entsprechende Zitat nicht gefunden. Wirklich nachweisbar sei der Satz erst in Kabarettprogrammen von Karl Farkas. Sedlaczek nimmt es mit der Sprache genau. Schon von Berufs wegen. Von 1989 bis 2003 war der studierte Germanist, Anglist und Publizist Geschäftsführer des Österreichischen Bundesverlages. Jetzt hat er bei Ueberreuter ein Handbuch herausgebracht, "Das österreichische Deutsch", das am Donnerstag in der Österreichischen Nationalbibliothek präsentiert wurde. Das eingangs erwähnte Zitat steht als Motto dem Buch voran.

​

Schon als Student, als er für eine in Österreich tätige internationale Nachrichtenagentur arbeitete, wurden ihm immer wieder hierzulande geläufige Ausdrücke aus seinen Meldungen herausredigiert, erzählt Sedlaczek. Später im Verlagsgeschäft stieß er immer wieder bei deutschen Vertriebspartnern auf Verständnisprobleme. "Österreichisch ist keine eigene Sprache, das zu behaupten wäre völlig falsch. Aber es gibt die deutsche Sprache in zwei Ausformungen: ein deutsches Deutsch und ein österreichisches Deutsch. Der Duden neigt dazu, den Norden als Norm zu begreifen und den Süden als Abweichung. Mir geht es darum, die Gleichwertigkeit zu zeigen. Was in Österreich gesprochen wird, ist keine Abartigkeit des Deutschen."

​

Mehr als 1.300 Ausdrücke und Redensarten aus dem österreichischen Deutsch listet Sedlaczek auf und stellt sie (kenntlich gemacht durch kleine Länder-Fähnchen) ihren deutschen Pendants gegenüber. "lei(n)wand, bärig, klass" tritt gegen "toll, klasse, geil, knorke" an, "Zwutschkerl" trifft auf "Krümel, kleiner Wicht, Murkel", das "Bussi" auf das "Küsschen", der "Sessel" auf den "Stuhl". Zahlreiche vierfärbige Illustrationen aus Medien und Werbung dienen als Belege und sollen dem Werk den Charakter eines Hausbuches verleihen, das auch zum Schmökern einlädt. Fast 500 Seiten umfasst das Buch, "es könnte allerdings auch doppelt so dick sein", versichert der Autor, der weiß, dass seine Sammlung nur eine Momentaufnahme darstellt. Denn obwohl viele der aufgelisteten Unterschiede sehr alt sind (und Sedlaczek liefert eingehende etymologische Hintergründe), entwickeln sich Sprache und Sprachgebrauch rasch weiter.

​

Perfekt wanderte nordwärts

​

Er hege keine Angst vor einem zunehmenden sprachlichen Hegemonismus des Nordens, versichert Sedlaczek, im Wortschatz gebe es einen Austausch zwischen Norden und Süden und umgekehrt. Während man bei uns dank deutscher Privatsender etwa manches bereits "lecker" fände, sei zum Beispiel der "Strudel" auch im Norden heimisch geworden. Noch viel massiver sei es bei der Grammatik, der das Buch ein eigenes Kapitel widmet. Das in Österreich häufig verwendete Perfekt habe mittlerweile sogar in "Spiegel"-Gesprächen Einzug gehalten.

​

"Mit dem EU-Beitritt ist das Interesse an der österreichischen Identität stark gewachsen", glaubt Sedlaczek an den richtigen Zeitpunkt für sein Buch, "Man ist sensibilisiert für das Thema." Während mit dem berühmten Protokoll Nr. 10 1994 nur 23 österreichische Begriffe in die EU-Amtssprache aufgenommen wurden (übrigens alle, einschließlich der "Marille", aus dem kulinarischen Bereich), gibt es in einer EU-Datenbank 4.000 österreichische Ausdrücke, die den Dolmetschern das Verständnis erleichtern sollen. "Ich glaube nicht, dass man von staatlicher Seite einen Sprachgebrauch vorschreiben kann und soll. Wenn die Politik etwas machen kann, dann sind es Aktionen im Bereich des Bewusstseins. Wir sollten uns auch davon frei machen, dass die österreichische Variante Umgangssprache ist, die norddeutsche die Hochsprache." Die österreichische Sprachvariante habe zudem einen sehr hohen Sympathiewert auch im Norden Deutschlands. Das Buch ist daher als bewusstseinsbildende Maßnahme zu verstehen: "Wenn die Leute nach der Lektüre das Gefühl haben, 'Wir können stolz auf unsere Sprache sein!', dann wäre schon viel gewonnen."

​

Was unterscheidet das österreichische vom deutschen Deutsch? Buchautor Robert Sedlaczek gibt Antworten, Wiener Zeitung, 18. September 2004.

​

Wie kam das Wort "Kartoffel" nach Wien? Warum sagen wir lieber "Marille" statt "Aprikose"? Wieso verwendet man in Hamburg seit neuestem die Füllwörter "halt" und "eh klar"? Robert Sedlaczek beschäftigt sich in seinem jüngsten Buch "Das österreichische Deutsch" erneut mit der Frage, wie sich die Österreicher von den Deutschen durch die gemeinsame Sprache unterscheiden. "Das österreichische Deutsch" ist ein anekdotenreiches Handbuch über die kleinen Unterschiede und deren große Bedeutung. Die "Wiener Zeitung" traf den Autor.

Wiener Zeitung: Die ewige Diskussion um das "österreichische Deutsch" - ist das nicht auch kleingeistige Haarspalterei?

Robert Sedlaczek: Im Gegenteil. Es geht um die sprachliche Selbstbehauptung, um die Sprache als Teil der eigenen Identität. Das Buch bringt zum Ausdruck, dass die deutsche Sprache insgesamt "plurizentristisch" ist, das heißt, dass sie aus mehreren Zentren besteht, die gleichwertige Varianten und Sprachfärbungen hervorbringen. Das ist eine Einsicht, die auch die moderne Wissenschaft vertritt. Während im Rechtschreib-Duden geradezu noch koloniales Denken mitschwingt: Nicht selten wird darin das Norddeutsche zur Norm erklärt, bereits das Süddeutsche und erst recht das österreichische und schweizerische Deutsch werden als Abweichung von der Norm definiert - eine für uns nicht gerade schmeichelhafte Sichtweise. Vielleicht rührt auch daher das Gefühl, dass Norddeutsche ein schöneres Deutsch sprechen. Was aber keineswegs gerechtfertigt ist.

Wiener Zeitung: Wo liegen die größten Unterschiede zwischen deutschem und österreichischem Deutsch?

Robert Sedlaczek: Viele glauben, dass die Unterschiede nur im Dialekt liegen, das ist aber nicht wahr. Die Differenzen betreffen alle Sprachebenen: Dialekt, Umgangssprache und auch die Hochsprache. Am auffälligsten sind die Unterschiede im Wortschatz, aber wir unterscheiden uns auch in den Bereichen Grammatik, Aussprache und Sprachmelodie. Viel zitiertes Beispiel im Bereich Wortschatz ist die Marille: Sie kommt nur in Österreich und Südtirol vor, ist hier aber hochsprachlich, in Bayern sagt man bereits Aprikose. Allein im offiziellen Handbuch für EU-Übersetzer wurden rund 4.000 Begriffe festgehalten; ich habe mich dagegen auf 1.300 beschränkt, die das österreichische vom deutschen Deutsch unterscheiden. Die Österreicher neigen überdies dazu, Ausdrücke des deutschen Deutsch zu bevorzugen, weil sie vermeintlich "feiner" klingen als Wendungen des österreichischen Deutsch. Dabei ist es doch schade um die Vielfalt, die so verloren geht. Unweigerlich führt das zu einer Verarmung der Sprache. Mir geht es darum, dass die kleinen Unterschiede erhalten bleiben.

Wiener Zeitung: Woher rührt Ihre Leidenschaft für diesen akribischen Umgang mit der Sprache?

Robert Sedlaczek: Wahrscheinlich kann sich jeder, der sich für Sprache interessiert, auch für einzelne Wörter, deren Herkunft, Bedeutung und exakter Verwendung begeistern. Aber auch mir war lange Zeit gar nicht bewusst, welche Ausdrücke überhaupt aus dem österreichischen Deutsch kommen. Erst als ich Mitte der 70er Jahre als junger Student bei einer Nachrichtenagentur zu arbeiten begann, war ich mit einem Schlag damit konfrontiert, dass sich, wie man so sagt, die Österreicher von den Deutschen durch die gemeinsame Sprache unterscheiden: Der Redakteur, der meine Artikel redigierte, war nämlich Deutscher. Er hat mir beim Wort "weiters" regelmäßig das "s" herausgestrichen, "hiezu" ersetzte er durch "hierzu"; statt "zweifärbig" sollte es "zweifarbig" heißen, auch bei "nützen" hat ihn der Umlaut gestört, es musste "nutzen" sein. Ein "Stockwerk" wurde zur "Etage". Später, als Verleger, hat mich das Problem wieder eingeholt.

Wiener Zeitung: Wo liegen die Probleme in der Verlagspraxis?

Robert Sedlaczek: Da stellt sich die Frage, wie Bücher lektoriert werden sollen. Viele österreichische Autoren beklagen sich zu recht darüber, dass deutsche Lektoren versuchen, bestimmte Wörter durch Begriffe aus dem deutschen Deutsch auszutauschen. Folgende Ausdrücke stehen, laut einer Umfrage, immer wieder auf der Abschussliste: "Bub" wird durch "Junge" ersetzt, "Kasten" durch "Schrank", "Stiege" durch "Treppe", "Jänner" durch "Januar", "Polster" durch "Kissen", "Semmel" durch "Brötchen" und "Sessel" durch "Stuhl". Dasselbe Problem stellt sich bei Übersetzungen oder bei Film- und Fernsehsynchronisationen. Slangausdrücke werden meistens in norddeutsche Dialekte übertragen, daher sind den Österreichern Ausdrücke des deutschen Deutsch viel geläufiger als umgekehrt. Wir sind, ohne es zu wissen, "zweisprachig" aufgewachsen.

Wir können sehr wohl mit Ausdrücken des deutschen Deutsch etwas anfangen und verwenden diese auch oft. Verständigungsschwierigkeiten gibt es eher auf Seiten der Deutschen.

Wiener Zeitung: Ein Beispiel?

Robert Sedlaczek: Denken Sie etwa an die "Piefke-Saga" von Felix Mitterer. Da gibt es einen Tiroler Burschen namens Joe, der sich in Sabine, die Tochter eines Berliner Unternehmers, verliebt. Als sich die beiden nach langer Zeit endlich wieder sehen, kommt es zu folgendem Dialog:

Joe: Du bist mir abgegangen!

Sabine: Was?

Joe: No, abgangen bist mir! Furchtbar ist des! Mir werd'n uns nie versteh'n! Gefehlt hast mir!

Wiener Zeitung: Sind derzeit größere Veränderungen im unterschiedlichen Sprachgebrauch zu beobachten?

Robert Sedlaczek: Zurzeit gibt es geradezu dramatische Verschiebungen: Wörter wandern vom Norden in den Süden und umgekehrt. Das ursprünglich norddeutsche Wort "Sauerkohl" ist praktisch zur Gänze vom süddeutschen "Sauerkraut" verdrängt worden. Typisch österreichische umgangssprachliche Ausdrücke wie "eh klar" oder "halt" sind mittlerweile sogar in die norddeutsche Hochsprache integriert. Während das norddeutsche "lecker" längst bei uns heimisch ist. Lecker, auch wenn es für meine Ohren fremd klingt, ist ein überaus funktionstüchtiges Wort: Es drückt sowohl Geschmacksempfindungen als auch das Aussehen von Speisen aus: "Etwas schmeckt lecker", beziehungsweise: "Die Torte sieht lecker aus". In dem Moment, wo ein Wort eine Lücke füllt, hat es große Chancen, sich durchzusetzen. Man sieht: Die Sprachgrenzen sind durchlässig geworden. Auch die Übergänge von Mundart zur Hochsprache sind fließend. Jüngstes Beispiel: Die "Hacklerregelung" taucht in allen Medien auf, und ist seither Teil des allgemeinen Sprachgebrauchs.

Wiener Zeitung: Sie haben in Ihrem Buch auch etymologische Forschungen betrieben.

Robert Sedlaczek: Man kann sich unter einem Wort mehr vorstellen, wenn man weiß, woher es kommt. Wir haben im Österreichischen viele Wörter, die aus dem Italienischen kommen, denken Sie nur an die Marille. Während in Deutschland eher Ableitungen aus dem Französischen oder Niederländischen gängig sind - wie die Aprikose. Einige norddeutsche Ausdrücke sind in der Zeit des Nationalsozialismus nach Österreich gekommen. Das Wort "Kartoffel" ist dafür ein Beispiel, umgangssprachlich hat man in Österreich immer Begriffe wie "Erdapfel", "Erdbirne" oder "Grundbirne" verwendet. Als im Zuge der Lebensmittelrationierungen während des Zweiten Weltkriegs so genannte "Kartoffelkarten" ausgegeben worden sind, hat der neue Begriff "Kartoffel" dem heimischen "Erdäpfel" kräftig zugesetzt.

Wiener Zeitung: Beliebt ist bei gewissen Sprachpolizisten auch das Zetern gegen Anglizismen.

Robert Sedlaczek: Ich kann mit "E-Mail" und Co. gut leben. Ich glaube nicht, dass es sinnvoll wäre, zwanghaft deutsche Übersetzungen zu finden, mir geht es eher um ein Bewusstsein für den Reichtum der Sprache. Wogegen ich allerdings bin: Wenn englische Ausdrücke verwendet werden, wenn es ohnehin deutsche gibt. Ein Beispiel aus der Werbung: Man verwendet "Card" statt "Karte", weil man der irrigen Auffassung ist, das klinge pfiffiger.

​

Das Gespräch führte Petra Rathmanner

​

Interview in Sozusagen
Sprachwitze
Tante Jolesch
Österreichisch für Anfänger
Kulturgeschichte des Tarock
bottom of page