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Das Götz-Zitat - eine kleine Abhandlung aus Anlass eines "Krone"-Interviews mit Dominik Nepp

Frage an Dominik Nepp: "Viele in der ÖVP sagen, mit der FPÖ ginge es ja, es geht nur nicht mit Kickl." Antwort des Wiener FP-Chefs: "Also ehrlich gesagt, die ÖVP soll uns den Buckel runterrutschen. Wir suchen uns das Personal selber aus." Das heißt: Was die ÖVP sagt, interessiert uns nicht, wir verachten diese Partei.


Um dies auszudrücken, verwendete der Wiener FP-Chef eine verhüllende Form des Götz-Zitats: Buckel ist seit dem 15. Jahrhundert ein Ausdruck für den Rücken, und der Rücken endet bekannterweise am Gesäß; in Wien gibt es eine vervollständigte Variante, die den Sachverhalt deutlicher zum Ausdruck bringt: Du kannst ma 'n Buckl awerutschn und mit der Zungan brems'n. Außerdem sind zahlreiche abgemilderte Formen des Götz-Zitats im Umlauf, hier eine kleine Auswahl: Du kannst mi' hintumiheben. Oder: Blas ma r in Hobel aus! Oder: Du kannst mi' pfitschigogerln. Oder: Du kannst mi' buckelfünferln – das bedeutet eigentlich: Du kannst mir mit den fünf Fingern über den Rücken bis zum Gesäß hinunterfahren.


Der historische Götz von Berlichingen


Gottfried "Götz" von Berlichingen zu Hornberg war ein um 1480 geborener fränkischer Reichsritter, der den Spruch in einer von ihm verfassten Aufzeichnung erwähnt; die Invektive war an einen Amtmann des Bistums Mainz gerichtet: "Da schriehe ich wider zu ime hinauff, er soldt mich hinden leckhenn." In Goethes Schauspiel klingt das berühmt-berüchtigte Zitat so: "Sag deinem Hauptmann: Vor Ihro Kayserliche Majestät, hab ich, wie immer schuldigen Respect. Er aber, sag’s ihm, er kann mich im Arsche lecken." Vor allem Kenner der deutschen Klassiker legen Wert darauf, dass es nicht "am", sondern "im Arsche lecken" heißt. Erzwungener und zumeist öffentlicher Anilingus diente früher als Demütigung von Gefangenen und von unterworfenen Kontrahenten, zum Beispiel im Dreißigjährigen Krieg - so beschrieben von Grimmelshausen im "Simplicisssimus".


Auf spielerische Weise huldigte Wolfgang Amadeus Mozart dem Skatologischen: Er komponierte die Kanons "Leck mich im Arsch" sowie "Beim Arsch ist’s finster" und unterlegte die Melodie eines andern Komponisten mit dem Text "Leck mir den Arsch fein recht schön sauber".


Die Herkunft des Wortes Buckel


Als Buckel wurde ursprünglich der Metallbeschlag in Form einer Halbkugel in der Mitte des Schildes bezeichnet. Das Wort ist aus dem Altfranzösischen entlehnt, geht letztlich auf lateinisch buccula (= Wange, Backe) zurück. Eine Redewendung „rutsch mir den Schildbuckel hinunter“ ist nicht belegt und es ist unwahrscheinlich, dass es sie jemals gegeben hat. Die heutige Floskel muss aus einer Zeit stammen, als das Wort schon auf den Körper übertragen war, vermutlich mit der Zwischenstufe Höcker.


Alfred Polgars berühmter Text über eine "Beleidigung der Regierung" basiert auf einer wahren Begebenheit


Anfang des Jahres 1924 wurde in Wien der Hilfsarbeiter Franz Seemayer von einem Wachmann "wegen eines Straßenexzesses arretiert", wie die kommunistische Zeitung "Die rote Fahne" in ihrer Ausgabe vom 15. Februar berichtete. "Während der Eskorte aufs Kommissariat benahm sich Seemayer, der angeheitert war, sehr renitent und erging sich in heftigen Beschimpfungen gegen den Bundeskanzler Seipel. Auf die Aufforderung des Wachmanns, sich zu mäßigen, erwiderte Seemayer: Die ganze Regierung kann mich ..." Deshalb musste er sich "wegen Beleidigung der Regierung" vor einem Bezirksrichter verantworten. Er erklärte, dass er sich an den Vorfall nicht erinnern könne, weil er zur kritischen Zeit volltrunken war. Er sei nämlich Abstinenzler, habe jedoch kurz vorher anlässlich einer Namenstagsfeier zwei Krügel Bier getrunken, wovon er ganz berauscht wurde. Der als Zeuge vernommene Wachmann erklärte hingegen, dass der Angeklagte zwar angeheitert, aber nicht volltrunken war. Der Richter verurteilte den Angeklagten zu drei Tagen Arrest.


Am 16. Oktober 1926 veröffentlichte die sozialdemokratische "Salzburger Wacht" den Beitrag "Zwei Kriminalfälle" von Alfred Polgar. Im ersten Teil mit dem Titel „Eine Sechzehnjährige“ ging es um den Selbstmord eines Mädchens namens Anna, das bei der Polizei einen Gesundheitspass zur Ausübung der Prostitution beantragen wollte und in den Arrest geworfen wurde, weil sie dafür um ein Jahr zu jung war. "Mit vierzehn dürfen sie in die Fabrik, mit siebzehn erst bekommen sie das Prostitutions-, mit zwanzig das Wahlrecht", stellt Polgar lakonisch fest. Anna erhängte sich am Fensterkreuz der Arrestzelle. "... nicht aus Furcht vor Besserungs- und Arbeitsanstalt und den schaudervollen Streck- und Quetschmethoden, mit denen dort Seelen auf Gleich gebracht werden (...) sie kam nicht hinweg über die Felonie, deren Opfer sie geworden war. Der Boden des Gesetzes, auf den sie sich gestellt hatte, wich wie eine Falltüre und warf sie in die Tiefe, das Licht erlosch, und in der Schwärze, die nun Raum und Zeit ganz erfüllte, verschwamm ihr die Grenze zwischen Tod und Leben."


Der sozialkritische Text kontrastiert mit dem humoristischen zweiten Teil, in dem Alfred Polgar den Fall Seemayer mit dem Titel „Geflügeltes Wort“ aufgreift – Otto Schenk hat ihn gern gelesen und bei den Theaterbesuchern für Lachtränen gesorgt. In einem fiktiven Plädoyer führt Polgar zur Entlastung Seemayers ins Treffen, dass dieser keine Aufforderung ausgesprochen habe, sondern „nur seine Bereitwilligkeit ausdrückte, es zuzulassen, falls die Regierung so tun wolle". Er habe die Regierung nicht einmal kritisiert, habe nur „seine durchaus uninteressierte Einstellung zu ihr“ betont. Es sei empörend, dass man einen Mann aus dem Volke einsperrt, „weil er sich volkstümlicher Redeweisen bedient, einer façon de parler, die er gewiss auch Verwandten und Freunden gegenüber anwendet, die er liebt und die ihm wahrhaftig näher stehen als die Regierung". Das "Anerbieten" sei bestimmt nicht ernst gemeint gewesen. "Seemayer dachte gewiss keinen Augenblick an die faktische Möglichkeit, dass ihn die Regierung, und noch dazu die ganze Regierung!"


Die zwei sprachlichen Entgleisungen sind unterschiedlich, haben aber auch Gemeinsames. Nepp sagte im Gegensatz zu Seemayer nicht "kann", sondern "soll"; es war also kein Anerbieten, sondern eine dezidierte Aufforderung, offensichtlich an die ganze ÖVP gerichtet, sonst hätte er ja spezifiziert, hätte klar gesagt, welche Bünde oder Teilorganisationen er meint oder wen er besonders gern auf seinem Rücken Richtung Gesäß hinunterrutschen ließe. Ob er die Phrase auch gegenüber Verwandten und Freunden verwendet, also gegenüber Menschen, die er liebt und die ihm näher stehen als die ÖVP, entzieht sich meiner Kenntnis.


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Buchpräsentation "Das große Wörterbuch des Wienerischen", Mittwoch, 22. November, 18.30, Siegmund Freud Museum, Berggasse 19. Siehe:

Eine Anmeldung ist unbedingt erforderlich, Mail-Adresse in obigem Link.

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1 Kommentar

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1 Comment


Guest
Oct 11, 2023

Lieber Robert


Danke für 15min ausgezeichneter Unterhaltung und Information.

Nebenbei: Nepp sagt "uns" d.h. allen FPÖ-Mitgliedern.


Bei nur 100 Mitgliedern pro Partei wären das bereits 100x100= 10000 "Leckereien".


Manche Sachen will ich mir nicht vorstellen.


Tom Wicke


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