Wenn ich als Bub eine Sache besonders gut gemacht hatte, sagte mein Vater "Du bist ein Jass!" Ich habe lange Zeit nicht hinterfragt, woher dieser Ausdruck stammt. Ein Zusammenhang mit der höchsten Karte im Jassen ist evident, aber Jassen spielt man in Vorarlberg, in der Schweiz und in Süddeutschland, nicht im Osten Österreichs. Erfunden wurde das Spiel übrigens in den Niederlanden, dort ist es heute noch eine Art Nationalspiel.
Bei den Recherchen zu meinem "Großen Wörterbuch des Wienerischen", erschienen im Herbst 2023, bin ich der Sache nachgegangen. Danach gab es einen weiteren Anlass: Ich halte bei der dieses Mal in Wien stattfindenden Jahrestagung der "International Playing Card Society" einen Vortrag mit dem Titel "The cultural significance of the card games Klabrias and Tartel in the Jewish culture of Vienna around 1900".
In der Endphase der Monarchie Österreich-Ungarn und in den Jahren danach waren in Wien zwei Spiele aus der Jass-Familie populär, besonders unter Juden: Sie hießen Klabrias, eine Verballhornung von Klaberjassen, und Tartel, eine Verballhornung von Terzl, das eine Verkleinerungsform von Terz ist. Zu dieser Kartenspielfamilie gehört auch Zensern, der Name geht auf französisch cinqcent (= fünfhundert) zurück - im Spiel zu zweit gewinnt jener Spieler, der einen Punkt mehr als 500 erreicht.
Klabberjassen und Tartel dürften in Wien praktisch ausgestorben sein, mit der Shoa sind nicht nur viele Spieler, sondern auch die Spiele selbst gestorben. Es ist allerdings ein Faktum, dass diese zwei Spiele in einem geringen Ausmaß dort überlebt haben, wo sich Juden niederließen, die der Nazi-Todesmaschinerie entkommen konnten - vor allem im englischsprachigen Raum, wo das Spiel Klaberjassen zu Clobyosh/Klobiosh oder Klob/Clob oder Clabber verballhornt wurde.
Zensern war das Spiel der fahrenden Händler, Vaganten und Gauner, heute gilt es als Spiel der Häftlinge, wird aber nicht nur in Gefängnissen, sondern vereinzelt auch in Wiener Kaffeehäusern gespielt, zum Beispiel im Café Weidinger.
Die höchste Karte in diesem Spiel ist der Atout-Unter/Trumpf-Bube, er sticht alle anderen Karten und wird als "das Jass" bezeichnet. (Vereinzelt gab es auch Varianten, in denen der Atout-Ober/die Trumpf-Dame als höchste Karte fungierte und deshalb als "das Jass" bezeichnet wurde.)
Jedenfalls leitet sich von diesen typisch wienerischen Kartenspielen eine übertragene Bedeutung ab, wobei das Geschlecht von sächlich auf männlich wechselt: "der Jass".
Wenn ich sage "Du bist ein Jass", dann meine ich: "Du bist eine hervorragende, tüchtige Person, ein Fachmann auf einem bestimmten Gebiet, eine Koryphäe". Im Alemannischen wird das Wort hingegen nur im Kartenspiel selbst verwendet, nicht im übertragenen Sinn.
Hier noch zwei Belege aus dem Wienerischen:
o Teuschl, „Da Jesus uns seine Hawara“: „Drauf woans s gaunz schmääschdaad, wäu s nemlich gschdridn haum, wea fo eana da grässde Jass is.“
o Ostbahn-Kurti, „Die beste Zeit“: „Såg i: ,I vasteh ållas!‘ – Sågt er: ,Du vastehst an Schas. / I woa da Schnöllste von ålle. I woa amoi a Jas. / Europamasta. Rücken und Brust. Auf 200 Meter ålle vaputzt.“
Wie bedeutend diese Kartenspiele in Wien früher waren, geht aus einigen schriftlichen Dokumenten hervor. Friedrich Torberg schreibt in der "Tante Jolesch", dass der Rechtsanwalt Hugo Sperber nicht nur ein leidenschaftlicher Tarockspieler war, sondern auch häufig Tartel spielte. Bei den Recherchen habe ich einen Zeitungsartikel aus den 1920er Jahren gefunden - in diesem wird eine komplette Tartelpartie Hugo Sperbers mit dem Schriftsteller Leo Perutz wiedergegeben, samt geistreicher Bemerkungen der Spieler. Und "Die Klabriaspartie" war ein jüdisches Jargonstück, das von 1890 bis 1925 nicht weniger als 5.000 Mal aufgeführt und sogar verfilmt wurde.
Bleibt noch die Frage, woher das Wort Jass kommt. Der "Kluge", das zuverlässige etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache, hält die Herkunft für umstritten; vielleicht ist Jass gekürzt aus niederländisch paljass (= Hanswurst, Bajazzo) entstanden, unter Bezugnahme auf Kartenbezeichnungen wie südniederländisch zot (= Narr) und französisch fou (= Narr). Im französischen Tarock, es wird Tarot genannt, ist der fou, auch excuse genannt, eine ganz spezielle und besonders hochwertige Karte: Sie kann zwar nicht andere Karten stechen, landet aber trotzdem immer in den Stichen jenes Spielers, der sie ausspielt - wobei die sonst geltenden Regeln des Farbzwanges in diesem Fall außer Kraft gesetzt sind.
In den österreichischen Tarockvarianten hat diese Karte eine andere Funktion: Der Sküs oder verballhornt Gstieß - von excuse - ist das höchste Tarock. Also auch das Beste, das einem widerfahren kann.
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Hier der Link zum Vortrag in englischer Sprache: "The cultural significance of the card games Klabrias and Tartel in the Jewish culture of Vienna around 1900"
Hier der Link zum Vortrag in deutscher Sprache, erweiterter Text mit Quellenangaben: "Die kulturelle Bedeutung der Kartenspiele Klabrias und Tartel in der jüdischen Kultur Wiens um 1900"
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