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Sprache in Zeiten des Krieges – warum die Kurzformel „Ukraine-Krieg“ nicht verwendet werden sollte

Es gibt Krieg in Europa, nicht weit entfernt von Österreich. Die in Wien tätige Sprachwissenschaftlerin Oksana Havryliv, eine gebürtige Ukrainerin, ärgert sich darüber, dass in den Medien immer wieder die verkürzte Formel "Ukraine-Krieg" zu finden ist. Sie ärgert sich zurecht.


Wir sollten diese militärische Auseinandersetzung richtig benennen. "Ukraine-Krieg" lenkt davon ab, dass es sich um einen russischen Überfall auf einen souveränen Staat handelt, in Verletzung des Völkerrechts – und übrigens auch in Verletzung eines Vertrages, in dem Russland einst der Ukraine die Souveränität zugesichert hat. Es ist also nicht ein "Ukraine-Krieg", sondern ein Angriffskrieg Russlands: ein "Russland-Krieg".


Nun weiß ich schon: In Überschriften ist oft nicht genug Platz. Aber auch dort sollte nicht ein falscher Augenschein entstehen.


Putin hat übrigens seine eigene Terminologie: "Sicherheitsoperation". Er vermeidet das Wort Krieg – eine Verhöhnung aller "Kriegsopfer", auch auf russischer Seite.


Zu hinterfragen sind auch die Rufe nach "Frieden" in diesem militärischen Konflikt. Was für ein Frieden ist gemeint? Wenn die Ukraine weiterhin vom Westen nur zögerlich mit Munition und Waffen unterstützt wird, kommt es zu einem russischen "Diktatfrieden". Dies wäre furchtbar - für die Ukraine und für Europa. Aus meiner Sicht sollte heutzutage nicht Frieden gefordert werden, sondern zunächst einmal Waffenstillstand – um weiteres sinnloses Blutvergießen zu vermeiden.


"Schleich di, du Oaschloch!" und "Russisches Kriegsschiff, fick dich!"


Oksana Havryliv hat in der von Radio Wien und dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) veranstalteten Diskussion auch auf einen anderen interessanten Umstand hingewiesen: In dramatischen Momenten kann verbale Aggression neben der katharsischen Funktion auch zum Zusammenhalt beitragen.


So war es im Falle des an den Wiener Attentäter vom 2. November 2020 gerichteten Ausrufs "Schleich di, du Oaschloch". Es soll auf der Tonspur eines wackeligen Handyvideos zu hören sein, das den schießenden Attentäter auf der Gasse zeigt. Die Empfehlung soll von einem Anrainer stammen. Zwar gibt es Zweifel bezüglich des exakten Wortlauts, eine Urban Legend war dennoch geboren.


Als das russische Kriegsschiff Moskwa am ersten Tag des russischen Angriffs gegen die Ukraine sich der Schlangeninsel im Schwarzen Meer nähert und die ukrainischen Soldaten zur Kapitulation auffordert, sagte auf dem ukrainischen Schiff der Soldat Roman Hrybow über Funk einen inzwischen legendären Satz: Wörtlich lautet er: "Russisches Kriegsschiff, geh zum Schwanz!", sinngemäß mit angloamerikanischer Schimpfterminologie: "Russisches Kriegsschiff, fick dich!" In Wien würde man sagen: "Russisches Kriegsschiff, geh in Oasch!" Wir schimpfen anal, nicht sexuell.


"Beide Sprüche gingen viral", berichtete Havryliv, "wurden zu Memes und Hashtags, erschienen in Massenmedien und im Alltag (gedruckt auf T-Shirts, Taschen oder anderen Gegenständen), und die Aufforderung 'Russisches Kriegsschiff, fick dich!' gibt es sogar auf einer Briefmarke."


Auf der Marke ist ein ukrainischer Soldat mit Gewehr zu sehen. Seine rechte Hand zeigt den Stinkefinger in Richtung eines Kriegsschiffes. Auf dem Schiff ist die Zahl 121 erkennbar, wie auf der Moskwa. Neben den Umrissen der Schlangeninsel steht der Anfang des inzwischen legendär gewordenen Spruches: "Russisches Kriegsschiff ..." Übrigens: Die Moskwa sank zwei Tage nach Herausgabe der Briefmarke am 14. April 2022.


Beide Slogans symbolisieren den Widerstand gegen Terrorismus. Oksana Havryliv hat übrigens wenig später am Donaukanal ein Graffiti mit folgendem Text entdeckt: "Russisches Kriegsschiff, schleich di!"


Tipp zum Nachhören


Die Diskussion "Schimpfen. Lust oder Frust?" kann hier als Podcast nachgehört werden:


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