top of page

Warum Nehammer mit dem Du-Wort sparsamer umgehen sollte

Autorenbild: Robert SedlaczekRobert Sedlaczek

Aktualisiert: 15. Aug. 2023


Einige Unternehmen sind im Kundenkontakt zur Du-Form übergegangen, sie wollen sich so ein frisches Image geben. Vermutlich wollte auch der Bundeskanzler der Republik Österreich sein Erscheinungsbild auffrischen – die Inszenierung ist gehörig schiefgelaufen.


Die Risken der jovialen Anrede sind beträchtlich. Nicht wenige werden es wohl als Zumutung empfunden haben, von Karl Nehammer geduzt zu werden. In einem Video auf Twitter hatte der ÖVP-Chef gemeint: "Beim Bäcker, beim Friseur oder im Kaffeehaus … Bezahlst du bar oder mit Karte? Ich will, dass du genau das auch in Zukunft selbst entscheiden kannst."


Nehammer trägt ein dunkles Sakko, hat sich aber keine Krawatte umgebunden, die obersten Hemdknöpfe sind offen, am Revers sieht man eine rot-weiß-rote-Anstecknadel. Das Du-Wort erfordert auch eine gewisse Vertrautheit, und dass Nehammer diese mit allen, die sein Video sehen, voraussetzt, ist gelinde gesagt komisch.


Das Du-Wort ist zweifellos im Kommen


Dabei soll nicht übersehen werden, dass das Du-Wort heutzutage häufiger verwendet wird als vor zwanzig oder dreißig Jahren. Viele junge Leute duzen sich, wenn sie es mit Ihresgleichen zu tun haben: Wenn sie im CD-Shop einkaufen, wenn sie im kleinen Bioladen fragen, ob der angebotene Frischkäse aus Schaf- oder Ziegenmilch ist etc. Dabei wird eine stillschweigende inhaltliche Übereinstimmung vorausgesetzt: Du verkaufst CDs, ich möchte eine CD kaufen, vielleicht haben wir sogar den gleichen Geschmack, schätzen dieselbe Musikrichtung? Ich bin für Bio, du bist für Bio, wir gehören in gewisser Weise zusammen, sind Gleichgesinnte. Hinzu kommt aber, dass das Du-Wort auch in diesen Fällen nur unter Gleichaltrigen üblich ist. Wenn ein Mann in den Fünfzigern alle Zwanzig- oder Dreißigjährigen duzt, sieht das nicht gut aus.


Als Franz Vranitzky mit dem Du-Wort ein Problem hatte


Oft duzen sich Menschen auch dann, wenn sie ihr Hobby gerade gemeinsam ausüben. Es gibt den Spruch, dass sich Wanderer über 1.000 Meter Seehöhe duzen, wenn sie einander begegnen oder in einer Schutzhütte beisammen sitzen ("Da herobm samma alle per Du").

Wenn vier Golfer in einem Turnier ihres Heimatklubs in einen Flight zusammengewürfelt werden, duzen sie sich – meistens, aber nicht immer. Es wird erzählt, dass Franz Vranitzky als Bundeskanzler auf einer Runde Golf von einem Flightpartner penetrant geduzt wurde. Es ging ihm sichtlich auf die Nerven, aber er hatte das Gefühl, dass er keine Handhabe hatte, dagegen einzuschreiten. Erst am Ende der Runde, als sich die vier Golfer voneinander verabschiedeten, sagte er zu dem enervierenden Flight-Partner: "Aber gell, wenn wir uns irgendwann zufällig wieder treffen, sind wir schon per Sie!"


Wenn die Grünen ihre Wähler duzen ...


Es ist wohl keine gewagte Feststellung, wenn ich behaupte, dass unter ÖVP-Mitgliedern nicht so gern geduzt wird. Das Duzen der Wähler von Plakatwänden herab haben sich hingegen die Grünen einige Male erlaubt, dort kommt es wohl besser an, verstört aber die Andersgesinnten. Thomas Kramar, einem Kolumnisten der Tageszeitung „Die Presse“, stieß es sauer auf, als die Grünen "Du, ja du! Du entscheidest die Mahü!" plakatierten. "Bei aller Sympathie für die Grünen: Ich will nicht von einem Plakat geduzt werden, und schon gar nicht dreimal." (25. Februar 2014) Der Slogan war freilich nicht an die Redakteure der "Presse" gerichtet, sondern an die Grün-Wähler und Grün-Sympathisanten der zwei relevanten Bezirke, sie sollten sich an der Befragung über die Zukunft der Geschäftsmeile rege beteiligen; sollheißen: Wer sich mit dem Du-Wort nicht angesprochen fühlt, soll ruhig zuhause bleiben.


Und es gibt noch einen anderen Grund, mit jemandem per Du zu sein


In meinem Ordner mit großartigen Zeitungsbeíträgen findet sich eine Glosse von "Telemax". Der von mir hochgeschätzte und legendäre Robert Löffler – ein Vorbild, das ich wohl nie erreichen werde – schildert, wie ihn ein mutmaßlicher Krone-Leser in der Wiener Innenstadt auf Schritt und Tritt verfolgte, dauernd anquatschte und dabei permanent duzte. Als es ihm zu viel wurde, stellte er verstört die Frage: „Hamma als a Klana miteinad üban Zaun brunzt?“ Das ist auch ein Grund, mit jemandem per Du zu sein.

0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Was ist ein Schlieferl?

Es gibt Wörter, die haben eine typische Lautform und eine einleuchtende Etymologie. Und trotzdem sind sie vom Aussterben bedroht. Ja, ich...

Unterwerfungsgesten als Polit-Strategie

Den Kotau machen  ist heutzutage eine nicht unübliche Verhaltensweise - in der Politik und in der Wirtschaft, in den USA, in Europa, in...

留言


bottom of page