Das Wort Schas hat viele Facetten
- Robert Sedlaczek
- vor 3 Tagen
- 4 Min. Lesezeit
"Jetzt hat uns die den Schas g'wonnen!" Mit diesem Satz kommentierte der ORF-Moderator Andi Knoll den Sieg Conchita Wursts beim Eurovision Song Contest 2014.
Jetzt jubelte J.J.: "Leitln, wir ham den Schas gewonnen. I bring’s hoam!"
Der Spruch war in den vergangenen Tagen ein Medienthema, nicht nur in Österreich. Ehe ich auf die vielfältigen Verwendungen eingehe, eine kurze Presseschau.
Dem Falter-Newsletter entnehme ich, dass in deutschen Medien über die Bedeutung des Wortes Schas gerätselt wurde. Die FAZ umschrieb es so: "Es ist keinesfalls salonfähig. Ganz so derb wie das hochdeutsche Pendant ist es aber auch wieder nicht. Es bezeichnet in erster Linie etwas Flüchtiges, einen Wind, der entweicht. Ist etwas völlig bedeutungslos, so kennt der Volksmund auch den 'Lercherlschas'."
Der "Kurier" ist der Frage nachgegangen, wer erstmals den Spruch verwendet hat. Es war die Hardrock-Band Alkbottl. Die Rapid-affine Gesangsgruppe hatte sich um die ESC-Vertretung 2011 beworben und trat bei der ORF-Show "Düsseldorf, wir kommen!" mit dem Song "Wir san do net zum Spaß" an. Doch im Songtext findet sich der Einzeiler nicht. Roman Gregory sagte nun dem Kurier: "Der Originaltext lautete im Refrain: 'Wir san do ned zum Spaß - wir g‘winnen euch den Schas!'. Wir mussten das aber nach Intervention vom ORF umändern, weil beim ESC keine Fäkalsprache erlaubt ist." Zum Song Contest 2011 fuhr dann die Innsbruckerin Nadine Beiler, die die Vorausscheidung gewonnen hatte.
Zur weiteren Popularisierung des Spruches sorgte eine Parodie auf die Tirolerin in der ORF-Sendung "Willkommen Österreich". Christoph Grissemann, mit Perücke und zu engem Paillettenshirt, hüpfte auf und ab und schrie: "I gwinn enk jetzt den Schas".
Andi Knoll hat also nur zitiert - ich dachte immer, er hat's erfunden.
In meinem "Großen Wörterbuch des Wienerischen" nimmt das Wort Schas unter dem Buchstaben S dreieinhalb Spalten ein, mit Nebenbedeutungen und Redewendungen. Wir sind übrigens nicht die Alleineigentümer, auch die Bayern kennen den Ausdruck. Die eigentliche Form Scheis wird im Wienerischen zu Schas, ansonsten in Österreich und Bayern zu Schoas. Das ist ein Lautgesetz, es betrifft auch auf andere Wörter wie Stein, Staa und Stoa.
Wörtliche Bedeutung: Flatus
Das Wort Schas bedeutet "abgehende Darmblähung", es ist zu unterscheiden von mundartlich Scheißdreck mit der Bedeutung "Exkremente, Kot". Nachfolgend einige Redewendungen, die an die wörtliche Bedeutung anknüpfen:
o einen Schas lassen: flatulieren: Helmut Qualtinger: "Wenn der Wiener an Schas lasst, / macht der Herrgott schöns Wetter / und die Engerl, die schnuppern dazu, / und der Petrus ruft: Wolken geht’s wischerlts erst später …"
o die Schas ausbeuteln (Fußballerspr.): ein lockeres Training am Tag nach einem Pflichtspiel absolvieren
o umadumschiaßen wia da Schas in da Reitern: unruhig, fahrig, nervös, hektisch sein (die Reiter, auch die Sandreiter, ist der österreichische Ausdruck für Siebgitter (beim Hausbau, beim Gärtnern etc.)
o a Stich is a Walzer, a Schas is a Schnalzer (Kartenspielerjargon): Kommentar im Schnapsen und im Tarock, wenn ein Rettungsstich gemacht wird, der einen hohen Verlust verhindert
Erste Nebenbedeutung: Kleinigkeit, Nichtigkeit
So haben es die parodierte Frau Beiler, die Gruppe Alkbottel und Herr Knoll wohl gemeint. Der Eurovision-Songcontest ist die schönste Nebensächlichkeit der Welt - wenn wir gewinnen.
Dazu ein Beleg aus Folge 12 von "Ein echter Wiener", zur Jahreswende ein Fixpunkt des ORF-Programms: Mundl: "A Raketen hab' i' gschossen." Kurt Blahovec: "Und weg'n so an Schas ruckt die Polizei aus?"
Zur ersten Nebenbedeutung einige Redewendungen:
o nur an Schas wissen: gar nichts wissen: In derselben Folge von "Ein echter Wiener": "Aha, jetzt hams Ihna verrat’n, Herr Sackbauer. Jetzt waaß i’, wer mi’ beschossen hat.“ – „An Schas wissen S’! Mia ham ja goa ka Liacht ned an. Mia san ja goa ned dahaam.“
o des is ka Schas mit Quastln: das ist keine Kleinigkeit
o ein Schas im Wåld: etwas völlig Unbedeutendes: Mundl in "Ein echter Wiener", 8, "Unterwelt": "Wannst zu dem was sagst, is es wia wannst im Wald an Schas lasst …
o des interessiert mi so vü wia-r-a Schas im Wald: das interessiert mich überhaupt nicht
o verkumman wia-r-a Schas im Wald: unbemerkt verschwinden
o Schas spielen: verschwinden: Voodoo Jürgens, "weida is gscheida": "spü schas und vaziag di / der hund der dawiagt di / der kraglt di o / wie an goglhahn."
o das geht di an Schas an! das geht dich überhaupt nichts an! Voodoo Jürgens, "Gitti": "… und mit wem i zam bin des geht di an schaß an / und jetzt los mi oglant weil da rickerl ruft glei an."
o wegen an jeden Schas in der Höh sein: sich wegen jeder Kleinigkeit aufregen
o si an Schas auskenna: sich überhaupt nicht auskennen
o lass an Schas drauf!: vergiss es! "Ein echter Wiener", 12, "Jahreswende": "Jetzt ruaf i' die Polizei an, die Funkstreife! (…) Einsperren soll'n s' Ihna, bis s' schwarz wer'n, Sie Pülcher, Sie!“ – Mundl: „Lass an Schas drauf, hearst! ’s is ja wuascht!“
o ja, einen Schas!: keineswegs (grobes Nein, schroffe Ablehnung)
Zweite Nebenbedeutung: Unsinn, Blödsinn, Widrigkeit
Das Wort wird in diesem Sinn im Wienerischen statt der Interjektion Scheiße verwendet, also nicht "so eine Scheiße", sondern "so ein Schas".
o ein Schas mit Quasteln (eigtl. Darmblähung, bei der etwas Kot abgeht): kompletter Unsinn: H. C. Artmann, "wos an weana olas en s gmiad ged" (auch interpretiert von Helmut Qualtinger): "a faschimpöde fuas brotesn / a finga dea wos en fleischhoka en woef kuma is / drei wochleid und a drafik / a giatlkafee met dischbost / a schas med quastln …"
Dritte Nebenbedeutung: Ersatzwort für eine nicht näher bezeichnete Sache
Wem ein Wort gerade nicht einfällt, kann stattdessen Schas sagen, zum Beispiel für ein bestimmtes Werkzeug: "Gib ma den Schas!" Gemeint ist ein Lötkolben, eine Beißzange etc. Dies gilt auch für komplizierte Komposita: Wenn Andi Knoll nicht das Wort Schas verwendet hätte, hätte er sagen müssen: „Das ist unglaublich. Jetzt hat uns die den Eurovison Song Contest gewonnen."
Komposita mit Schas als ersten Bestandteil
o schasaugert bedeutet "fehlsichtig", auch "dumm dreinschauend". Schasaugerter ist ein abwertender Ausdruck für "Brillenträger".
o Schasdacken ist ein "Sitzpolster auf Gasthaussesseln oder beim Heurigen", aber auch ein Schimpfwort für "widerliche, alte Frau".
o Schasfanger kann zweierlei bedeuten: "Soziussitz auf einspurigen Fahrzeugen" (z. B. auf Motorrädern) und "Unterhose".
o schasfreundlich: "übertrieben freundlich, anbiedernd, heuchlerisch"
o Schasklappersdorf ist ein erfundener Ortsname für einen entlegenen, unbedeutenden Ort: Lukas Resetarits in einem "Kurier"-Interview, 20. Jänner 2019): Jede Großstadt zieht Obdachlose oder Menschen an, die außerhalb der Gesellschaft stehen. Hier kann man leichter überleben, als beispielsweise in Schasklappersdorf ."
o Schasrodel: Schimpfwort für eine ungepflegte, unangenehme Frau
o Schasschneider: Stringtanga
o Schasreiter: Mensch, der häufig flatuliert
o Schastrommel bedeutet Bauch oder dient als Schimpfwort für eine verachtenswerte dicke, alte Frau.
o Schaszuzler: Ventilation, Luftreiniger, Luftwäscher.
Vermutlich fehlt noch einiges. Für Hinweise bin ich dankbar.
P.S.: Unerwähnt blieben in dieser Aufzählung Komposita mit -schas als zweiten Wortbestandteil, zum Beispiel Lercherlschas.
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