Warum Kartoffelchips in Wien Rohscheiben heißen und was das Schweizerhaus mit der Schweiz zu tun hat
- Robert Sedlaczek
- vor 1 Tag
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Aktualisiert: vor 4 Stunden
Endlich werden wieder im Schweizerhaus die Stelzen aufgetragen, die Wintersperre ist seit Mitte März zu Ende. Aber nicht alle kommen in das berühmte Praterlokal, um sich eine knusprige Schweinsstelze mit Senf und Kren sowie Krautsalat oder geradeltem Bierrettich zu geben. Als ich neulich mit Gerti den nach Wiener Gemeindebezirken gegliederten Gastgarten aufsuchte, wir waren im Bereich Margareten, sah ich an dem einen oder anderen Tisch ein älteres Ehepaar sitzen, das ein alternatives Menü gewählt hatte: einen Teller Rohscheiben und zwei Krügel Budweiser. Auch gut und obendrein billig.
Rohscheiben! Neben den Stelzen das zweite autochthone Gericht im Schweizerhaus. "Rohscheiben" ist ein typisch wienerischer Ausdruck für Kartoffelchips. Wer das Wort auf duden.de eingibt, bekommt die Meldung: "Leider ergab Ihre Suchanfrage keine Treffer. Meinten Sie nachschreiben, durchschreiben oder Drehscheibe?"
Wikipedia ist in dieser Hinsicht besser drauf: "Kartoffelchips, kurz oft Chips, in der Schweiz auch Pommes-Chips, in (Ost-)Österreich früher, heute nur noch gelegentlich Rohscheiben genannt, sind scheibenförmige Snacks. Sie bestehen aus dünnen frittierten oder gebackenen Kartoffelscheiben." Na, bitte.
Auf der Webseite schweizerhaus.at liest man: "In den 1920er Jahren versuchte Karl Kolarik den Wienern gebackenen Fisch schmackhaft zu machen. Um zu testen, ob das Öl schon heiß genug zum Frittieren ist, hat der Koch immer ein Stück von einer Kartoffel ins Öl geschnitten. Irgendwann meinte Karl Kolarik nur 'Schneiden wir doch die Erdäpfel etwas dünner, dann wissen wir die Temperatur genauso gut'. Aus dem wirtschaftlichen Gedanken wurde eine Innovation und schließlich eine Geschmackssensation, die sich bis heute größter Beliebtheit freut (sic): die Original Schweizerhaus Rohscheiben."
Nach einer Legende soll der US-Besatzungssoldat Howard Morse Kelly von den Rohscheiben so begeistert gewesen sein, dass er die Idee nach Amerika mitnahm und dort mit Chips ein Imperium aufbaute.
Erwiesen ist, dass der US-Major gemeinsam mit dem Österreicher Herbert Rast 1955 die "American Popcorn Company" gründete, die 1965 in die Kelly Ges.m.b.H. umbenannt und vom deutschen Knabbergebäck-Riesen Bahlsen übernommen wurde. Heute findet man in den Regalen der Supermärkte "Rohscheiben" des deutschen Unternehmens "The Lorenz Bahlsen Snack World", sie sollen "extra knusprig und rustikal" sein.
Der Name Schweizerhaus erinnert an den Baustil des ursprünglichen Gebäudes
1716 ist in dem Gebiet, das damals nur dem Hofstaat und seinen Gästen zugänglich war, eine "Schweizer Hütte" dokumentiert. Der Webseite des Schweizerhauses ist zu entnehmen, dass damals Schweizer Jagdtreiber die Herrschaften bewirteten. Vielleicht wurde danach die Jagdhütte benannt.
In den frühen 1840er Jahren errichtete van der Nüll ein neues Ausschankgebäude im Stil eines "Schweizerhauses", eine damals beliebte Architekturform. Gemeint ist ein vor allem außerhalb der Schweiz üblich gewesene Holzbaustil des Historismus, der in dekorativer Weise Stilelemente alpenländischer Bauernhäuser nachempfand. Meist wurde auf ein steinernes Erdgeschoß ein für die Schweiz charakteristischer Holzbau aufgesetzt. Damit sind wir bei des Pudels Kern.
Was auf der Webseite des Schweizerhauses nicht zu lesen ist: 1868 wurde eine "Schweizer Meierei" eröffnet. Von 1907 bis 1920 führte ein gewisser Jan Gabriel die Gaststätte, ehe Karl Kolarik das Lokal übernahm und zu einem kulinarischen Wahrzeichen Wiens machte.

In den letzten Kampfhandlungen 1945 wurde das Gebäude völlig zerstört. Heute präsentiert sich das Schweizerhaus als moderner Bau mit Schauküche, also nicht im Schweizerhaus-Stil.
Rohscheiben zum Selbermachen
Auf vornehmlich österreichischen Webseiten gibt es Rezepte für Rohscheiben zum Selbermachen: (1) Die Erdäpfel mit der Schale in 2 mm dünne Scheiben schneiden. (2) Ein Backpapier auf ein Backblech legen und mit reichlich Olivenöl einpinseln. Die Erdäpfelscheiben nebeneinander auf das Backpapier legen und mit Olivenöl einstreichen. (3) Die Erdäpfel bei 200 °C im vorgeheizten Backofen in ca. 12–15 Minuten zu goldgelben Rohscheiben braten. (4) Noch heiß mit Salz bestreuen und frisch genießen.
Bleibt noch die Frage, warum die Rohscheiben akkurat die Bezeichnung Rohscheiben bekommen haben. Wir essen die Erdäpfelscheiben ja nicht, wie bei einer Rohkost üblich, roh.
Vielleicht deshalb, weil sie nicht in Wasser vorgekocht, sondern roh ins Fett kommen?
Kleine Nachbemerkung: Auf jeder Flasche Budweiser konnte man früher lesen, dass dieses Bier von Kolarik & Buben importiert wurde. Gemeint waren nicht Kolariks Söhne, sondern ein früherer Partner: Buben ist nämlich auch ein tschechischer Familienname. Das Wort bedeutet so viel wie "Trommel" oder "Trommler".
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Lesetipp: Herbert Lackner: Das Schweizerhaus: Geschichte einer Wiener Institution, Ueberreuter-Verlag, Wien 2020.
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