Unlängst gehe ich mit Renate & Wolfgang mittagessen. "Heute gibt's in unserem Stammlokal Gansl - magst mitkommen?"
Beim Essen entspinnt sich dann eine Diskussion, wie die Beilage genannt wird: Rotkraut oder Blaukraut? "Wir in Oberösterreich sagen Blaukraut, ihr in Wien sagt Rotkraut," meint Renate. "Wir haben das letzte Woche in einer größeren Runde eruiert."
Ich will beim Essen keine lange Diskussion vom Zaun brechen, daher fällt meine Antwort lapidar aus: "Das hängt damit zusammen, dass das Gemüse violett bzw. lilafarben ist. Diese zwei Farbbezeichnungen sind relativ jung. Als sie noch nicht bekannt waren, blieb den Köchen und den Essern nichts anderes übrig, als die Farben Blau und Rot zu verwenden. Ich habe das für eines meiner Bücher recherchiert: Die Details liefere ich in meinem nächsten Sprachblog nach."
Das Wort violett ist erst im 17. Jahrhundert ins Deutsche gelangt, es ist entlehnt aus französisch violet, zu violette, das Veilchen. Das Wort lila ist noch jünger. Es existiert im deutschen Sprachraum erst seit dem 18. Jahrhundert, stammt von den Arabern ab, arabisch lilak; über die iberische Halbinsel - spanisch lila, also Flieder - ist es zu uns gelangt.
Zuvor konnte man diese Krautart nur mit den Vollfarben Rot und Blau bezeichnen, und die einzelnen Sprachlandschaften haben sich unterschiedlich entschieden. Der deutsche Germanist Werner König hat vermutet, dass unterschiedliche Zubereitungsarten eine Rolle gespielt haben: Mit Essig wird das Kraut eher rot, ohne Essig eher blau.
Außerdem spielt bei diesem Thema noch ein anderer Sprachunterschied eine Rolle: Was wir im Süden Kraut nennen, ist im Norden Kohl.
In den Jahren 1939/1940 ist für den "Deutschen Wortatlas" die Grenze zwischen dem südlichen Kraut-Gebiet und dem nördlichen Kohl-Gebiet erhoben worden. Sie verlief etwas nördlich von Main und Eger.
Außerdem fand man damals heraus, welche Region die Farbe Rot als Bezeichnung gewählt hat, und welche die Farbe Blau. Im Süden des Sprachraums war Blaukraut vorherrschend, auch in München und Innsbruck. Eine Ausnahme bildete der Osten Österreichs; in Wien, in Teilen Nieder- und Oberösterreichs, im Burgenland und im Osten der Steiermark verwendete man meist Rotkraut als Bezeichnung für dieses Gemüse.
Für Frankfurt am Main und Dresden wurde damals Rotkraut konstatiert, für Hamburg und Berlin Rotkohl. Im Osten Deutschlands war Roter Kappes gängig, das Wort kommt von lateinisch caput, also Kopf, gemeint ist Kopfkohl, kopfförmiges Gemüse also.
Es hat sich seither wenig geändert, Bezeichnungen im Bereich der Lebensmittel und Speisen sind relativ stabil. Meine zwei oberösterreichischen Freunde reden noch immer so wie es Mitte des vergangenen Jahrhunderts üblich war, und ich auch: Sie sagen Blaukraut, ich sage Rotkraut.
Kleine Nachbemerkung: Es heißt Martinigansl, nicht Martinsgans. Wie haben die lateinischen Endungen auf -i bewahrt, das Fugen-s klingt in unseren Ohren fremd. Aber das spürt eh jeder.
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